„Kaum zu spüren“

Die WM schafft zusätzliches Wachstum höchstens im Promille-Bereich, sagt der Wirtschaftsweise Bofinger

taz: Herr Bofinger, Hobbyökonomen glauben, dass die deutsche Wirtschaft durch die Fußball-Weltmeisterschaft wachse. Ist da was dran?

Peter Bofinger: Die positiven Effekte liegen im Promille-Bereich. Sie sind kaum zu spüren.

Aber Spaß am Leben kann doch dazu führen, dass man gut essen geht, ein teures Hotelzimmer bucht und sich andere schöne Dinge leistet.

Die Psychologie ist natürlich wichtig. Das hat schon CDU-Wirtschaftsminister Ludwig Erhardt in den 1950er-Jahren erkannt. Deswegen gibt es auch die Forschungsrichtung der Verhaltensökonomie. Interessant ist, dass die deutschen Haushalte zurzeit so viel Geld sparen wie nie seit dem Fall der Mauer. 2005 legten sie knapp 100 Milliarden Euro beiseite, um Vorsorge für die Zukunft zu treffen.

Die hohe Sparquote zeigt, dass Angst und niedriger Konsum zusammenhängen. Gute Stimmung müsste die Nachfrage also ankurbeln?

In den USA ist das auch so. Bei gleichem Einkommen bringen die Privathaushalte ihr Geld dort nicht zur Bank, sondern sie verschulden sich. Sie blicken viel optimistischer in die Zukunft als wir – manche Beobachter meinen, viel zu positiv.

Ist die WM als Ereignis einfach zu klein, um einen Wachstumsschub auszulösen?

Die langfristige Stimmungstendenz ist leider relevanter als das begrenzte Ereignis der WM. Die Deutschen haben Angst vor der Globalisierung. Und vor der demografischen Entwicklung. Sie meinen, sich schützen zu müssen. Wenn der Rausch der WM vorbei ist, werden diese tiefer liegenden Ängste wieder zum Tragen kommen. Die pessimistische Tiefenströmung wird durch die WM überlagert, aber nicht gebrochen. Warten wir ab, ob in der Sommerpause wieder das große Jammern losgeht.

Warum greifen Politiker nach dem Strohhalm des WM-Wachstums?

Das ist das Prinzip Hoffnung. In diesem Fall ist es leider unbegründet.

Ist die Angst, die viele Leute umtreibt, denn berechtigt?

Wir können optimistisch in die Zukunft blicken, wenn es um die Aussichten der deutschen Wirtschaft geht. Unsere Unternehmen stehen sehr gut da. Auch der Wohlstand nimmt permanent zu – im Großen und Ganzen betrachtet.

Empfänger von Hartz IV und Millionen andere mit schlecht bezahlten, unsicheren Arbeitsplätzen würden diese Einschätzung zurückweisen.

Und das zu Recht. Denn es gibt massive Ungerechtigkeiten bei der Verteilung des wachsenden Wohlstands. Das ändert aber nichts daran, dass der durchschnittliche Lebensstandard der Deutschen weiter zunimmt.

Und das wird auch in Zukunft so sein?

Sicher. Im bin ein überzeugter Marktwirtschaftler. Wir leben in einem sehr dynamischen und innovativen System. Die Menschen sind neugierig und erfinden dauernd neue Sachen. Weil die Marktwirtschaft diesen Wesenszug unterstützt, werden wir immer reicher.

Glauben Sie an das unendliche Wachstum?

Ich sehe keine Zeichen, die auf Stagnation oder Rückgang hindeuten.

Auch ohne die WM brauchen wir uns über die nächsten 100 Jahre also keine Sorgen zu machen?

Deutschland ist Exportweltmeister, und vielleicht werden wir wieder Fußballweltmeister. Trotzdem sollten wir uns nicht selbst einlullen. Wir brauchen vor allem mehr Investitionen in Bildung. Anstrengen muss man sich schon auch weiterhin. Sonst wird man schlaff und das Wachstum bleibt geringer, als es sein könnte.

INTERVIEW: HANNES KOCH