Umstrittene Spitzelakten langweilen Körting

Innensenator hält die Verfassungsschutzberichte zum Sozialforum für harmlos. Er kündigt strengere Maßstäbe für die Informationssammlungen an. Linke spricht von ärgerlichem Vorgang. Grüne fordern mehr parlamentarische Kontrolle

Eigentlich soll der Verfassungsschutz die Verfassung schützen. Nun drängt sich der Verdacht auf, dass die Behörde selbst Verfassungsgrundsätze gefährdet. Das zumindest befürchtete gestern der Fraktionschef der Grünen, Volker Ratzmann, im Verfassungsschutzausschuss des Abgeordnetenhauses, dem parlamentarischen Kontrollgremium der Geheimdienstbehörde. Ratzmann verurteilte erneut aufs Schärfste, dass V-Männer über Jahre hinweg Mitglieder des Berliner Sozialforums „gezielt“ und „systematisch“ ausgeforscht hätten. „Es läuft was falsch in dieser Behörde“, kritisierte Ratzmann.

Am Mittwoch hatte der FU-Politologe Peter Grottian Einsicht in Aktenauszüge erhalten, in denen sein Name auftaucht. Grottian zufolge hat der Verfassungsschutz weitaus intensiver das Bündnis linker Gruppierungen bespitzelt als bislang zugegeben. Sämtliche Aktivitäten im Umfeld des Forums seien im Visier der V-Männer gewesen. Der Professor bekam rund 80 Seiten mit Ausrissen vorgelegt, in denen sein Name im Zusammenhang mit dem Sozialforum auftauchte. Die kompletten Berichte durfte er nicht lesen.

Innensenator Ehrhart Körting (SPD) bekräftigte gestern, dass das Sozialforum und dessen Mitbegründer Grottian nicht unter Beobachtung stünden. Das Interesse der Verfassungsschützer gelte einzig Autonomen, die das Sozialforum für ihre „linksextremistischen Ziele“ zu missbrauchen versuchten. Körting sagte, er habe sich die Berichte angeschaut: „Es war so was von langweilig.“ Er kündigte an, die Akten umfassend zu bereinigen. Dinge, die nicht in die Akten gehören, würden geschwärzt oder vernichtet werden, so der Innensenator. Zudem versicherte er, dass der Verfassungsschutz beim Sammeln seiner Informationen künftig strengere Maßstäbe angelegt werden.

Körtings Koalitionspartner, die Linkspartei, gab sich mit dieser Ankündigung nicht zufrieden. Auch nach der gestrigen Debatte gebe es weiteren Bedarf an Aufklärung, sagte Steffen Zillich, der sicherheitspolitische Sprecher der Fraktion. Die Geheimdienstaktivitäten seinen ein „ärgerlicher Vorgang“. Es sei zu fragen, warum die behördeninterne Kontrolle nicht gegriffen habe. Dies habe wohl etwas mit unveränderten Feindbildern zu tun.

Grünen-Fraktionschef Ratzmann äußerte den Verdacht, dass der Geheimapparat auch bei anderen Objekten eine ähnliche Sammelwut entwickelt hat. Damit nicht mehr gesammelt werde, was nicht gesammelt werden dürfe, forderte Ratzmann, dass der Einsatz sämtlicher nachrichtendienstlicher Mittel vom Parlament genehmigt werden müssen. Dem erteilte Körting eine Absage.

Auskunft verlangt nun auch die Arbeitsgemeinschaft „Leben mit Obdachlosen“. Der Zusammenschluss von 70 Einrichtungen sozialer und kirchlicher Träger hatte sich 2004 mit verschiedenen Protestaktionen für die Wiedereinführung des Sozialtickets im öffentlichen Nahverkehr eingesetzt. Zusammen mit dem Sozialforum hatten sie unter anderem eine öffentliche Schwarzfahraktion organisiert. „Wir fragen überdies, ob es der Senat für angemessen hält, Gruppen, die sich für sozial Benachteiligte einsetzen, unter den Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit zu stellen“, empörte sich Initiativensprecher Peter Storck. Diese Frage muss sich nicht nur die Obdachloseninitiative stellen. Denn mit dem Sozialforum haben auch Kita-Initiativen zusammengearbeitet – und die Gewerkschaft der Polizei. FELIX LEE