Das Ende des Hymnen-Streits

Hoffmann von Fallersleben, der Dichter des Deutschlandliedes, hat selbst eine Alternative verfasst: Spottverse über seine untertänigsten Landsleute, die sich zur gleichen Melodie singen lassen wie das dieser Tage so beliebte „Einigkeit und Recht und Freiheit“

Die Linke tut sich schwer mit Deutschlands Nationalhymne. Die taz gab im Vorfeld der WM eine CD mit Liedern in Auftrag, die als nicht peinliche Alternative gesungen werden könnten. Die Lehrergewerkschaft GEW wollte das Deutschlandlied vorübergehend abschaffen, musste sich dann aber dem allgemeinen WM-Patriotismus beugen. Und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) findet die Nationalhymne zu kurz. Er sucht mehr Stoff zum Singen – aber anderen. Weil nur die dritte Strophe des Deutschlandliedes ertönen soll, hat er dazu aufgerufen, zwei unverfängliche zusätzliche Strophen zu dichten. Die allerdings gibt es längst – und sie stammen vom Verfasser des Deutschlandliedes höchstpersönlich.

1844 veröffentlichte August Heinrich Hoffmann, genannt von Fallersleben, in Paris eine Liedersammlung mit dem Titel „Maitrank“. Darin findet sich das nebenan abgedruckte Lied mit dem Titel „Kriech Du und der Teufel“, in dem Hoffmann den vermeintlichen Untertanengeist der Deutschen verspottet. Immerhin: Vier Jahre später haben sie eine Revolution angezettelt, nicht mit der nötigen Rücksichtslosigkeit, aber dafür ohne Terror. Sie ging schief. 100 Jahre später haben die Deutschen mit purer Rücksichtslosigkeit ihr Glück zu machen versucht. Das ging auch schief. Der Untertanengeist, den Hoffmann karikiert, war 100 Jahre später lebendiger denn je.

Der Hoffmann, der 1844 das Spottlied geschrieben hat, ist kein anderer als der, der 1841 auf Helgoland das heute schwer verständliche Deutschlandlied gedichtet hat. Kurz zuvor war er vom preußischen Staat seines Amtes als Professor für deutsche Sprache und Literatur in Breslau enthoben worden. „Die unpolitischen Lieder“, eine alles andere als unpolitische Gedichtsammlung, waren der Obrigkeit zu vorwitzig. Nach seiner Entlassung sei Hoffmann die Zensur vollends egal gewesen, sagt Brigitte Blankenburg, die Geschäftsführerin der literarischen Hoffmann-von-Fallersleben-Gesellschaft. „Er hat einen Rundumschlag gegen alles mögliche gemacht.“

Im „Maitrank“ ist das Spottlied mit dem Hinweis versehen, es sei nach der Melodie von „Oh Berlin, ich muss Dich lassen“ zu singen. Durch Weglassen oder Hinzufügen einzelner Laute ist es aber ohne weiteres nach der Haydn-Melodie von „Gott erhalte Franz den Kaiser, unsern guten Kaiser Franz“ zu singen – der Melodie des späteren Deutschlandliedes. Dass Hoffmann es den Österreichern geklaut hat, ist ihm schwerlich übel zu nehmen. Erstens war damals noch offen, ob es zu einer großdeutschen oder kleindeutschen Lösung kommen würde, und Franz war Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Zweitens war der Ideenklau verbreitet.

„Es war damals eigentlich üblich, dass man einfach eine Melodie für sich selbst genutzt hat“, sagt Blankenburg. Kaum jemand wisse, dass die Melodie des Kinderliedes „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ von Mozart komponiert worden sei. Den Text hat Hoffmann gedichtet, wie von so vielen Kinderliedern: „Alle Vögel sind schon da“, „Der Kuckuck und der Esel“, „Winter adé, Scheiden tut weh“. Bei einer derartigen Produktivität und Vielfalt konnte er durchaus hoffen, mit einem Titel wie „unpolitische Lieder“, die Zensoren an der Nase herumzuführen.

Hoffmann, ob in revolutionärer oder pastoraler Stimmung, hat die Melodien anderer für seine Texte genutzt. Er dürfte es kaum übel nehmen, dass einer seiner Texte mit einer anderen Melodie unterlegt wurde. Den Vorschlag, „Ja verzeihlich ist der Großen Übermut und Tyrannei“ zur Melodie des Deutschlandliedes zu singen, haben wir der „Mundorgel“ entnommen, dem traditionsreichen Liederbuch des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM), Kreisverband Köln. So weit immerhin reicht der Arm der Revolution von 1848.GERNOT KNÖDLER