„Ehegattensplitting ist ungerecht“

Das Ehegattensplitting nutzt besserverdienenden, männlichen Westdeutschen. Frauen, die arbeiten, Ostdeutsche und unverheiratete Paare haben nichts davon. Deshalb muss man es verändern, so die Juristin Ulrike Spangenberg

taz: Frau Spangenberg, derzeit wird ernsthaft über eine Änderung des Ehegattensplittings debattiert. Wem nützt das Ehegattensplitting?

Ulrike Spangenberg: Es bevorteilt ganz eindeutig die hohen Einkommensgruppen. Wer mehr als 110.000 Euro im Jahr versteuern muss, kann durch das Splitting mit knapp 8.000 Euro weniger Steuern rechnen – gesetzt den Fall, dass einer der Eheleute – in der Regel ist das die Ehefrau – kein Einkommen hat. Sobald die Ehefrau zehn Prozent dieser Summe dazuverdient, reduziert sich der Splittingvorteil um die Hälfte.

Das heißt: Das Ehegattensplitting wirkt wie ein materieller Anreiz für Frauen, zu Hause zu bleiben?

Ja, denn oft lohnt es sich für die Frauen nicht, arbeiten zu gehen. Die 4.000 Euro, die verloren gehen, muss sie schließlich erst mal verdienen – die Kosten für Kinderbetreuung gar nicht einberechnet.

Das heißt auch: Wenn zwei Eheleute je 20 Stunden die Woche arbeiten, bekommen sie durch das Splitting weniger raus, als wenn einer von ihnen 40 arbeiten gehen würde?

Ja, denn wenn die Einkommen der Partner gleich sind, passiert gar nichts. Und es gibt noch mehr Verteilungsungerechtigkeiten: Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung von 2003 hat mit Daten der Lohn- und Einkommensteuerstatistik die Verteilungswirkung des Ehegattensplittings simuliert. Ergebnis: 93 Prozent des gesamten Splitting-Volumens von insgesamt 21 Milliarden pro Jahr kommen Ehepaaren in den alten Bundesländern zugute, in den Osten fließen gerade mal 2 Milliarden. Denn in den neuen Bundesländern arbeiten häufiger beide Eheleute Vollzeit, und sie verdienen durchschnittlich weniger. Deshalb profitieren sie vom Splitting wesentlich weniger.

Was ist mit Alleinerziehenden oder unverheirateten Eltern?

Sie können ebenso wie gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften mit Kindern das Ehegattensplitting gar nicht in Anspruch nehmen. Denn sie fallen nicht unter die Kategorie „Ehe“. Das heißt: Ein Viertel aller Eltern-Kind-Gemeinschaften hat nichts vom Ehegattensplitting. In Frankreich ist das anders. Dort gilt das Familiensplitting sowohl für nicht verheiratete Paare als auch für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften.

Taugt das Ehegattensplitting überhaupt zur Familienförderung?

Wie der Name schon sagt, knüpft das Ehegattensplitting nicht an die Familie, sondern allein an die Ehe an. Natürlich haben viele Ehepaare auch Kinder. Doch 40 Prozent der Ehepaare, die vom Ehegattensplitting profitieren, haben keine Kinder, die noch Kindergeld beziehen – ältere Kinder zählen steuerrechtlich nicht mehr.

Familienpolitisch ist das Splitting also unsinnig?

Ja. Aber die Diskussion wird leider nur familienpolitisch geführt. Welche Effekte das Splitting auf die Gleichstellung von Männern und Frauen hat, steht bedauerlicherweise im Hintergrund. Dabei verpflichtet das Grundgesetz den Staat nicht nur zum Schutz der Familie, sondern genauso zur Förderung der Gleichberechtigung. Dem steht das Ehegattensplitting entgegen, weil es Ehefrauen faktisch benachteiligt.

Auch die Union diskutiert über das Ehegattensplitting. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla hat sich für den Umbau in Richtung Familiensplitting ausgesprochen. Was halten Sie davon?

Anders als in der öffentlichen Debatte vielfach behauptet, ist das Familiensplitting kein Abschied vom Ehegattensplitting, sondern lediglich eine Erweiterung. Das Familieneinkommen wird nicht mehr durch zwei, sondern durch die Zahl aller Haushaltsangehörigen geteilt. Für kinderlose Ehepaare bleibt das Splitting wie bisher bestehen.

Ist das ein gerechteres Modell?

Ich finde nicht. Denn die Förderung von Kindern über das Steuerrecht führt immer zu einer ungleichen Verteilung der steuerlichen Entlastung …

weil wegen des progressiven Steuersatzes Besserverdiende auch mehr von der Steuer absetzen können …

Ja, außerdem hat nur derjenige zum Schluss mehr im Portemonnaie, der arbeiten geht. Ich halte eine individuelle Besteuerung der Eheleute mit übertragbarem Grundfreibetrag für eine bessere Lösung. Sie wäre verfassungsgemäß und würde die Splittingvorteile für höhere Einkommen deutlich begrenzen. Der Steuervorteil für Besserverdienende würde von derzeit maximal 8.000 auf 3.600 Euro sinken. Dadurch würde der Staat über mindestens acht Milliarden Euro mehr verfügen. Dieses Geld könnte in eine bedarfsorientierte Familienförderung gesteckt werden – in mehr und bessere Kinderbetreuung oder in eine Anhebung des Kindergeldes.

INTERVIEW: ANJA DILK