Acehs Frauen werden nicht gefragt

18 Monate nach dem Tsunami hat sich die Situation der überlebenden Frauen in der zerstörten Provinz Aceh verschlechtert. Männerüberschuss, Scharia-Gesetze und ein nicht an Bedürfnissen der Frauen ausgerichteter Wiederaufbau sind das Problem

AUS BANDA ACEH CHRISTINA SCHOTT

In den Flüchtlingslagern der vom Tsunami zerstörten indonesischen Provinz Aceh herrscht großer Männerüberschuss. In einigen Dörfern leben nur noch zehn Prozent der Frauen. Durch den jahrzehntelang von Männern bestimmten bewaffneten Konflikt zwischen Indonesiens Regierung und der Unabhängigkeitsbewegung GAM ohnehin schon geschwächt, machte der Tsunami Acehs Frauen endgültig zu einer der größten Opfergruppen. Nur rund ein Drittel der Überlebenden sind weiblich: Als die Todeswelle kam, rannten viele Frauen noch zum Meer, um ihre Kinder zu retten.

Einst war Aceh für seine starken Frauen berühmt. Noch heute heißen viele Straßen nach der Unabhängigkeitskämpferin Cut Nyak Dien. Doch obwohl viele Offizielle gern mit der Historie argumentieren, sieht die aktuelle Position der Frauen in Aceh alles andere als heroisch aus.

„Es gibt keine gesicherten Zahlen für Vergewaltigungen in den Camps, weil die meisten einfach nicht wagen, offen zu sprechen“, sagt Samsidar, Sonderberichterstatterin für die Nationale Kommission für Frauenrechte. „Das größte Problem sind die gemeinsamen Waschräume: Überall bohren die Männer Löcher hinein und lauern den Frauen auf.“

So waren 56,5 Prozent der gemeldeten Gewaltverbrechen in Acehs Flüchtlingslagern von Oktober 2005 bis Februar 2006 sexuelle Übergriffe, davon 41 Prozent in privater Umgebung. Während die Lokalregierungen nicht auf Beschwerden reagierten, gingen die Belästigungen zurück, nachdem religiöse Führer dagegen gepredigt hatten.

Seit Januar gelten im streng islamischen Aceh neue Scharia-Gesetze. Musliminnen dürfen nur noch mit Kopftuch auf die Straße und keine eng anliegende Kleidung tragen. Glücksspiel, Konsum oder Verkauf von starkem Alkohol sowie unehelicher Sex werden mit öffentlichen Stockschlägen bestraft. Auch darf eine Frau nur noch bei einem verwandten Mann auf dem Motorrad mitfahren. Motorradtaxis sind tabu. „Die Scharia-Gesetze schränken meinen Alltag sehr ein. Früher konnte ich mit meinem Nachbarn zur Arbeit fahren. Ich trug auch nie ein Kopftuch und finde das heiß und unpraktisch“, erzählt Marianna von der Insel Simeulue. Als sich ein paar Männer aus ihrem Dorf nähern, relativiert sie ihre Aussage: „Viele Frauen fühlen sich durch das Scharia-Gesetz unterdrückt. Aber die Religion ist tabu, und sie trauen sich nicht, es vor anderen auszusprechen.“

In den letzten Monaten sind auffällig viele junge Mädchen verheiratet worden. „Damit wollen Eltern entweder die ‚Ehre‘ ihrer vergewaltigten Tochter retten oder ihr Kind sozusagen vorbeugend in die schützende Verantwortung eines Ehemanns geben“, erklärt die Frauenrechtlerin Azriana Rambe Manalu. „Was die Mädchen wollen, spielt selten eine Rolle. Viele müssen deswegen sogar die Schule abbrechen.“

Doch sind es die Frauen, die am meisten arbeiten, für die ganze Gemeinschaft kochen und waschen. Und es sind Frauen, die Acehs Wirtschaft mit Kleinstunternehmen wie Bäckereien oder Nähereien nach dem Tsunami als Erste wieder in Gang brachten, während die Männer noch in Cafés lamentierten.

Die 20-jährige Deka hätte nur noch ein Jahr zum Abschluss der Oberschule benötigt. Doch dann tötete der Tsunami ihre Eltern. Seitdem muss sie sich um ihre vier jüngeren Geschwister kümmern. Sie brach die Schule ab und öffnete einen Zeltcafé. Dort tummeln sich die Männer. Das Geschäft läuft, doch der Ruf leidet. Also hat Deka im April geheiratet: „Die Hochzeit gibt uns mehr soziale und finanzielle Sicherheit. Wenn ich es schon nicht kann, dann soll wenigstens meine kleine Schwester einmal studieren. Es ist sehr hart als unverheiratete Frau. Die Scharia macht es nicht einfacher.“

Eine Untersuchung der Nationalen Kommission zeigt, dass unverheiratete und verwitwete Frauen stärker diskriminiert werden als Ehefrauen. „Frauen werden in Aceh fast nie an Entscheidungen beteiligt. Ich werfe den ausländischen Helfern vor, dass auch sie diese Strukturen einfach hinnehmen. Kaum jemand hat die Frauen gefragt, was sie für den Alltag benötigen oder sich für ihr neues Haus wünschen“, klagt Azriana: „Cut Nyak Dien und die starken Frauen Acehs sind nur noch Legende.“