„Dynamischer als Rot-Grün“

Daniel Cohn-Bendit: Das Tandem Klinsmann-Löw hat gegen eine modernisierungsresistente Umgebung die Modernisierung durchgesetzt. Damit hat es geschafft, was Schröder-Fischer misslang

taz: Herr Cohn-Bendit, Bundestrainer Jürgen Klinsmann würde ein deutsches Aus im Viertelfinale als Scheitern verstehen. Wie sehen Sie das?

Daniel Cohn-Bendit: Ach, das sind so Sprüche. Es ist die Funktion der Trainer, alles oder nicht zu spielen. Grundsätzlich muss man sagen, dass Klinsmann seit zwei Jahren Recht hat. Es ist faszinierend, wenn sich unterwürfige Fernsehleute jetzt fragen, ob er nicht mal zwei Tage nach Kalifornien fliegen sollte, um neue Kraft zu zu tanken.

Worin besteht die Leistung von Klinsmann?

Klinsmann hat mit der deutschen Mannschaft das geschafft, was Rot-Grün mit der deutschen Gesellschaft nicht geschafft hat: eine Modernisierung durchzusetzen in einer Umgebung, die modernisierungsresistent ist.

Wir haben jetzt sogar eine neue Elite, z. B. Joachim Löw?

Wir haben ein Tandem, das funktioniert. Im Gegensatz dazu konnte das Potenzial des Tandems Schröder-Fischer nicht mobilisiert werden. Und Merkel-Münte funktioniert auch nicht. Es ist interessant, was für eine Sprengkraft die Dynamik von Klinsmann-Löw hat. Ob die jetzt im Viertel- oder Halbfinale gewinnen oder nicht: Da ist eine Mannschaft, die Zukunft hat. Vor allem ist da eine Spielweise, die Zukunft hat.

Nichts zu kritisieren?

Klinsmann ist im letzten Moment ein bisschen zurückgeschreckt und hat Nowotny mitgenommen. Dieser Mann wird nie spielen. Hätte er stattdessen Owomoyela dabei,würde ihm das vielleicht jetzt das Kopfzerbrechen mit Friedrich ersparen.

Das entscheidende Symbol war die Verrentung des Helden von 2002 – des Torhüters Oliver Kahn? Stimmen Sie zu?

Ja, stimmt. Aber es ist unglaublich, wie voyeuristisch und sadistisch das Fernsehen jetzt mit Kahn umgeht, indem es ihn während des Spiels häufig in Großaufnahme zeigt. Das beweist, dass sie überhaupt kein Fingerspitzengefühl haben für die Dramatik, die in einem Menschen vorgehen kann. Deshalb hat Zidane das Spiel gegen Togo nicht auf der Bank angeschaut.

Kahn ist Geschichte – und Zidane?

Es gibt diese Weisheit: Die Hölle sind die anderen. Die Hölle im Fußball ist, sich von einer Tradition zu befreien, wenn sie nicht mehr funktioniert. Es gibt zwei Ebenen: die Spielweise und die Spieler. Es ist umso schwieriger, sich von der Spielweise zu befreien, je größer die Spieler sind. Du setzt ja nicht Thuram, Makalele, Zidane auf die Bank, du setzt eine Geschichte auf die Bank.

Würden Sie Zidane gegen Spanien morgen aufstellen?

Mein Sohn sagt, er würde ohne Zidane spielen, damit sei das Spiel schneller. Ich kann und will so was nicht denken.

Sie sind ja sentimental.

Mag sein. Aber er hat ja im letzten Jahr noch ein, zwei große Spiele gemacht. Er hat viele Jahre bei Real in Spanien gespielt. Kann es nicht sein, dass er den Abschied will in einem Viertelfinale Frankreich gegen Brasilien?

Die Neuauflage des Finales von 1998, das Zidanes Tore für Frankreich entschieden.

Das wäre die größte Symbolik, auch wenn er das Spiel dann verliert. Dieses Spiel zu erreichen, das kann Kräfte freisetzen, das ist nicht total absurd, sondern hat eine Logik.

Die Franzosen träumen von alten Tagen, die Deutschen sind modern. Das ist die Umkehrung der Jahre 1998/2000.

Nicht die Deutschen sind modern, das ist Klinsmann. Was er durchgesetzt hat, ist die neue, offensive Spielweise. Klinsmann hat das gegen die Öffentlichkeit, gegen die Horrorachse Beckenbauer, Bild, Breitner, Netzer geschafft. In Deutschland war es aber auch einfacher. Die hatten keine Spieler mehr, nur noch eine anachronistische Philosophie.

Nach einem Viertelfinal-Aus könnte Klinsmann aufhören.

Wenn man den deutschen Fußball verteidigen will, muss er bleiben. Das kann Jogi Löw allein nicht. Die Mannschaft hat Potenzial für 2008 und 2010.

Weist die WM für Deutschland doch über den Fußball hinaus?

Dass diese gute Stimmung irgendwas verändert, glaube ich nicht. Der nächste Winter kommt bestimmt. Und die Stimmung wird genauso trüb sein, wie der Winter wird. Die Hochstimmung in Frankreich 1998 hat ein Dreivierteljahr angehalten. Wenn sozial und politisch nichts passiert, wird aus der Stimmung nichts. Sie kann die Möglichkeit eines Aufbruchs erleichtern, aber nur, wenn die Inhalte stimmen. Aber dieser Egotrip von Schröder …

dem ehemaligen SPD-Bundeskanzler …

...vor einem Jahr die Brocken hinzuschmeißen, erweist sich als aberwitzig. Wäre die Wahl nach der WM, hätte die griesgrämige Stimmung nicht mehr Bestand, man sei am Rande des Untergangs.

Wie schlägt sich Kanzlerin Angela Merkel bei der WM?

Diese Frage ist genauso relevant wie die, ob sie morgens mit dem rechten oder dem linken Fuß aufsteht. Wenn sie mit dem linken aufsteht, ist sie für die Bürgerversicherung, steht sie mit rechts auf, ist sie für die Kopfpauschale. Ich weiß nicht, wozu ich die Kanzlerin beim Fußball sehen sollte.

Wird das 2:0 gegen Schweden im kollektiven Bewusstsein verewigt?

Nein, es wird keinen Platz im Mausoleum unserer Erinnerungen behalten. Dafür waren die Schweden zu schwach. Das Spiel war ja nach einer Viertelstunde zu Ende. Ein Spiel bleibt, wenn es sich aus der Spannung der Auseinandersetzung entwickelt – wie bei Italien – Deutschland 1970.

Fernsehunterhalter wie Johannes B. Kerner und Analytiker wie Jürgen Klopp bemalen sich die Wangen inzwischen schwarz-rot-gold. Ist das noch normal?

Die sind jetzt normal gaga. Völlig ohne Distanz. So waren die Franzosen auch. Im Grunde genommen sind sie jetzt wie alle Sportreporter in der Welt …

na, na! …

… aber die wahre Frage, die man stellen muss: Wird Merkel im Nationaltrikot auftreten, wenn Deutschland im Endspiel ist?

Es gibt bereits grüne Spitzenpolitikerinnen, die Deutschlandtrikots tragen.

Das ist auch normal gaga. Ich werde jedenfalls nicht im Frankreichtrikot erscheinen, wenn Frankreich im Endspiel steht.

Schlagen wir Argentinien?

Ich wusste nicht, dass Sie mitspielen. Ja, unmöglich ist es nicht. GESPRÄCH: PETER UNFRIED

DANIEL COHN-BENDIT ist Chef der Grünen im EU-Parlament und gehört zum WM-Analyseteam der taz