Ein Relikt des Kalten Krieges

Noch immer stehen deutsche Tornados bereit, um US-Atomwaffen ins Ziel zu bringen. Aber wohin? Das neue Weißbuch der Bundeswehr bietet die Chance, sie abzuschaffen

Schon 1992 hatten die USA die Zahl ihrer Atomsprengköpfe in Europa auf 500 verringertDie Gefahr eines Angriffs besteht nicht mehr. Die Nachbarn im Osten sind heute Bündnispartner

„Die Streitkräfte des Warschauer Paktes sind sowohl für eine konventionelle als auch für eine atomare, biologische und chemische Kriegführung ausgerüstet und ausgebildet. Ihr Ausbildungsschwerpunkt liegt beim Angriff.“ So beschrieb das erste Weißbuch der Bundeswehr im Februar 1969 die Bedrohung aus dem Osten. Der konventionellen Überlegenheit des Warschauer Paktes mit seinen 30.000 Panzern und 3.400 Kampfflugzeugen setzte der Westen eine Politik entgegen, die – so die damalige Formulierung – „den möglichen Gegner von einem Angriff abschrecken“ sollte.

Vor diesem Hintergrund entstand die Politik der sogenannten nuklearen Teilhabe. Denn eine Voraussetzung für die Nato-Strategie der „Flexible Response“ war, so formulierte es die Bundesregierung damals, „die Fähigkeit, unter verschiedenen militärischen Mitteln, konventionellen wie nuklearen, zu wählen“. Diese Strategie setze „die Ausrüstung der Streitkräfte der Bündnispartner mit Trägermitteln für nukleare Waffen voraus“.

Die Bundesrepublik verzichtete auf Herstellung oder nationale Verfügungsgewalt über Atomwaffen. Ihr Beitrag zur Nuklearstrategie des Bündnisses bestand darin, in den Planungsgremien der Allianz mitzuwirken und seit Ende der Fünfzigerjahre auch Trägersysteme bereitzuhalten, die für den Nuklearwaffeneinsatz geeignet waren. Substanziell änderte sich daran bis zum Ende des Kalten Krieges 1989 wenig. Gorbatschows Politik blieb dann aber doch nicht ganz ohne Wirkung. Auf eine Kleine Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion antwortete die Bundesregierung im Januar 1988, dass die bis dahin gültige Sofortbereitschaft von Teilen der nuklearfähigen Bomberverbände seit November 1986 durch „deutlich weniger belastende Rufbereitschaften“ ersetzt worden war.

Die politische Entwicklung der Folgejahre veränderte die Sicherheitslage in Europa tief greifend. Die Bedrohung, die seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Bundeswehr die Sicherheitslage prägte, also die Gefahr eines massiven konventionellen Landangriffs, besteht nicht mehr, im Gegenteil: Durch die Erweiterung von EU und Nato sind unsere östlichen Nachbarn, von Warschau bis Tallinn, zu Bündnispartnern geworden. Den neuen Bedrohungen unserer Sicherheit lässt sich nicht mehr mit Bomberflotten begegnen. Und doch stehen nuklearfähige Tornados der Bundeswehr weiterhin bereit, US-Atomwaffen ins Ziel zu fliegen – aber wohin?

Das offizielle Nato-Handbuch von 2001 formulierte die Aufgabe der Nato-Nuklearstreitkräfte so: „Die Bündnisstrategie zielt auch weiterhin auf die Verhinderung eines Krieges, wird aber nicht länger von der Möglichkeit der nuklearen Eskalation bestimmt. (…) zudem werden Situationen, in denen ihr Einsatz in Erwägung gezogen werden müsste, als äußerst unwahrscheinlich betrachtet.“ Zwar spielten, so das Nato-Handbuch, Atomwaffen weiterhin eine wesentliche Rolle bei der Kriegsverhütung, diese sei jedoch heute „grundlegender politischer Art“. Zur Gewährleistung von Frieden und Stabilität sollten Nukleararsenale deshalb „auf dem geringstmöglichen Niveau“ aufrechterhalten bleiben.

Vor diesem Hintergrund haben die USA ihre Atomsprengköpfe und ihre atomare Artilleriemunition drastisch abgebaut: Der FAZ war im vergangenen Jahr zu entnehmen, die Zahl amerikanischer Kernwaffen-Gefechtsköpfe in Europa habe sich zwischen 1971 und 1992 von 7.300 auf 500 verringert – so auch die Recherchen amerikanischer Institute. Ein Teil davon ist in Deutschland gelagert, vielleicht noch in Ramstein und – als Bewaffnung für deutsche Tornados – jedenfalls noch in Büchel (Rheinland-Pfalz).

Im vergangenen Frühjahr gab es eine kurze Debatte über die Zukunft amerikanischer Kernwaffen auf deutschem Boden, in der auch die Nuklearrolle der Luftwaffen-Tornados zur Sprache kam. Nicht nur aus den heutigen Oppositionsparteien, sondern auch vom damaligen Verteidigungsminister Struck (und vom rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Beck) wurde der Abzug der verbliebenen US-Atomsprengköpfe ins Gespräch gebracht. Der Abzug wäre das logische Ende des aktiven deutschen Beitrags zur Nato-Nuklearpolitik. Die Bereithaltung deutscher Trägersysteme hätte nach einem Abzug der US-Atomwaffen keine Grundlage mehr.

Das neue Weißbuch bietet nun eine gute Gelegenheit, den Beitrag der Bundeswehr zur Politik der nuklearen Teilhabe zu klären. Militärische Gründe, deutsche Trägerflugzeuge bereitzuhalten, gibt es nicht mehr. Auch das politische Argument, dass die deutschen Tornados Voraussetzung für die Mitsprache in Nato-Nuklearangelegenheiten seien, entspricht nicht oder nicht mehr den Tatsachen: Die Mitarbeit in den nuklearen Planungsprozessen ist unabhängig davon, ob Trägerflugzeuge für einen Atomwaffeneinsatz vorgehalten werden, wie auch der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium Pflüger bestätigte. Während in den Gremien alle Mitgliedstaaten (außer Frankreich) dabei sind, verfügen gegenwärtig nur acht Nato-Staaten über eigene Trägersysteme.

Das weitere Festhalten an deutschen Bomberstaffeln ist 16 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges überholt. Wer wie der Bundesverteidigungsminister in seinem Weißbuchentwurf behauptet, auch in Zukunft sei eine deutsche Teilhabe an den nuklearen Aufgaben notwendig, müsste neue und überzeugende Argumente haben. „Weil es immer so war“ reicht da nicht aus. Die dafür vorgesehenen Tornados werden zwischen 2013 und 2015 außer Dienst gestellt werden, das Nachfolgeflugzeug Eurofighter ist für diese Aufgabe aber nicht vorgesehen. Der Verteidigungsminister sollte in dieser Frage reinen Tisch machen und das Ende dieses deutschen Beitrags, spätestens mit der Ausmusterung der Tornado-Trägerflugzeuge, festschreiben.

Jenseits dieser Fragen bleiben Nuklearwaffen ein Thema der internationalen Politik: Die Entwicklung im Iran muss aufmerksam verfolgt werden, die Atompolitik Nordkoreas oder die Gefahren, die sich aus der Weitergabe von Nuklearmaterial an Terroristen ergeben können, sind Anlass zur Sorge. Diesen Gefahren wird sich aber kaum mit nuklear bestückten deutschen Tornado-Bombern begegnen lassen.

Die politische Bedeutung nuklearer Waffen mag weiter bestehen, sie erfordert aber nicht mehr eine militärische Infrastruktur, die als Antwort auf die Overkill-Kapazitäten der Sowjetunion gedacht war. Außenminister Steinmeier hat in diesen Tagen gefordert, dass wir über den Irankonflikt hinaus über den Stand der nuklearen Rüstung weltweit reden müssen, und an das im Nuklearwaffensperrvertrag enthaltene Versprechen der Atommächte zur weiteren Abrüstung erinnert.

Ein Verzicht auf einen deutschen militärischen Beitrag zum Atomwaffeneinsatz könnte ein Zeichen sein, Deutschland ginge mit gutem Beispiel voran.

HANS-PETER BARTELS