Kinder sind unwichtiger geworden

Seit etwa 1992 stagniert der Kinderwunsch in Deutschland: Im Durchschnitt wollen die Leute nur noch 1,75 Kinder. Jeder vierte Mann will kinderlos bleiben. Aber: Nur noch 61 Prozent der Frauen finden, zum Kinderkriegen braucht’s eine feste Beziehung

„Wenn die Familien erst einmal klein sind, bleiben die Wünsche auch klein“

VON ULRIKE WINKELMANN

Kinder sind nicht mehr so wichtig. Diesen „eindrucksvollen Wertewandel“ dokumentiert die Studie „Kinderwünsche in Deutschland“, die das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) gestern mit der Robert-Bosch-Stiftung vorstellte. Sie basiert im Wesentlichen auf einer Umfrage unter 5.500 Menschen zwischen 20 und 49 Jahren vom Frühjahr 2005.

Nur noch 30 Prozent der Frauen wie der Männer stimmten der Behauptung: „Eine Frau braucht Kinder, um ein erfülltes Leben zu haben“, zu. Auch unter den Eltern fanden dies bloß 36 Prozent der Befragten. Um 1990 war die Zustimmung laut einer vergleichbaren Erhebung noch gut doppelt so hoch. Den Satz: „Ein Mann braucht Kinder, um ein erfülltes Leben zu haben“, bejahten 2005 28 Prozent der Männer und 24 Prozent der Frauen.

Während die Geburtenrate seit Anfang der 70er-Jahre bei rund 1,4 stagniert, ist der Wunsch nach Kindern gerade in Deutschland seltener geworden. Jeder vierte Mann und jede siebte Frau wollen kinderlos bleiben. Im Durchschnitt wünschten sich die Befragten noch 1,75 Kinder. Dieser Wert ist seit etwa 1992 konstant. 1988 wurde (für Westdeutschland) noch der Wunsch nach durchschnittlich 2,15 Kindern ermittelt. Der Knick unter das für die Bevölkerungsreproduktion magische Maß von 2,1 Kindern erfolgte also zur Zeit des Mauerfalls (der dazu die Statistiken durcheinander brachte).

Was aber ist da passiert? Charlotte Höhn, Chefin des BiB, wusste das gestern nicht zu beantworten: „Da müsste man etwas länger nachforschen.“ Hans Bertram, Berliner Familienforscher, bot eine These an: Ab 1990 kam die erste Generation ins zeugungsfähige Alter, die eine schon kinderarme Elterngeneration erlebt hat. Nur „wo viele Kinder sind, werden auch Kinder gewünscht“, so Bertram. „Wenn die Familien erst einmal klein sind, bleiben die Wünsche auch klein.“

Immerhin aber wirken die Aussichten für den Staat, dies zu ändern, auf den ersten Blick nicht schlecht. Familienpolitik genießt höchste Zustimmungswerte. 20 Prozent der Frauen behaupten, sie würden über ein (weiteres) Kind nachdenken, wenn die gewünschten Maßnahmen eingeführt würden. Die Studie versucht hier, drei Faktoren zu gewichten: (Arbeits-)Zeitgestaltung, Betreuung/Infrastruktur und (Steuer-)Geld. Im Ergebnis erklären die Kinderlosen wie die Hochqualifizierten, dass ihnen die Zeit am wichtigsten, das Geld am wenigsten wichtig ist. Dabei liegen die Werte im Bereich von 80 bis 93 Prozent Zustimmung dicht beieinander.

Auf die Frage, wie sie vor diesem Hintergrund das für 2007 geplante Elterngeld bewertet, das vor allem Steuergeld an hoch qualifizierte Frauen umschichten wird, mochte die Bundesbeamtin Höhn lieber nicht antworten. Bertram dagegen erklärte, das Elterngeld sei primär keine demografische Maßnahme, sondern solle Frauen mehr Unabhängigkeit geben.

Grundsätzlich stellte Höhn aber den Zusammenhang von Umfragen und Politik besonders beim Thema Kinderwunsch infrage. Die Qualität der Antworten sei von einer „gewissen Ambivalenz“, erklärte die Bevölkerungsvermesserin Höhn: Die Menschen neigten dazu, bei einer „solchen Privatsache“ widersprüchliche Aussagen zu treffen. Außerdem glaubt Höhn „eher weniger, dass der Staat in der Lage ist, Kinderwünsche zu generieren.“ Sie plädierte für ein Ende der Diskussion über die Nachteile des Kinderkriegens.

Einer der wichtigsten Gründe für Kinderlosigkeit scheint übrigens das Fehlen einer Beziehung zu sein. Doch verrät eine Zahl, dass Frauen auf die sinkende Kinderlust der Männer und wachsende Beziehungsprobleme schon reagiert haben: Nur 61 Prozent der Frauen finden: „Man sollte erst Kinder bekommen, wenn man sich sicher ist, dass man als Paar zusammenbleibt.“