„Langfristig entstehen Strukturen, die schädlich sind“

Erst wenn die Industrie Emissionsrechte kaufen muss, wird Klimaschutz effizient, sagt der Experte Joachim Schleich. „Großbritannien und die Niederlande haben das begriffen“

taz: Herr Schleich, bislang bekommen die Unternehmen in Deutschland ihre Emissionsrechte allesamt kostenlos zugeteilt. Sie fordern, die Zertifikate zu versteigern. Würden Firmen dann die Kosten nicht an ihre Kunden weitergeben, etwa durch höhere Strompreise?

Joachim Schleich: Das ist zwar richtig. Nach ökonomischer Logik wird der Wert der Zertifikate aber auch heute schon aufgeschlagen – das zeigt ein Blick auf den Strommarkt. Es spielt nämlich für die Preiskalkulation eines Unternehmens keine Rolle, ob es die Emissionsrechte geschenkt bekommt oder ob es die Zertifikate kaufen muss. Für diesen Effekt gibt es auch andere Beispiele: Wer eine Eigentumswohnung erbt, vermietet sie auch nicht billiger, weil er nichts dafür bezahlt hat – man richtet sich schlicht nach dem Marktpreis.

Die kostenlosen Zertifikate sind also ein Geschenk an die Wirtschaft?

Das kann man so sehen. Die kostenlose Zuteilung der Emissionsrechte bedeutet im Ergebnis Zusatzgewinne in Milliardenhöhe für die Industrie, besonders für die Energiewirtschaft. Zertifikate für knapp 500 Millionen Tonnen CO2 werden jährlich in Deutschland ausgegeben, bei einem Marktpreis von aktuell 15 Euro je Tonne haben diese einen Wert von 7,5 Milliarden Euro.

Was nicht im Sinne des Erfinders ist.

Natürlich ist das unter Verteilungsgesichtspunkten problematisch: Durch die Gratisvergabe steigen die Gewinne der Energieversorger, während private Haushalte und energieintensive Unternehmen belastet werden. Aber es spricht nicht gegen den Emissionshandel an sich. Unter Umweltökonomen ist unstrittig, dass der Emissionshandel ein ideales Instrument ist, um Klimaschutz dort zu realisieren, wo er volkswirtschaftlich am günstigsten zu haben ist. Doch das System leidet noch unter Kinderkrankheiten.

Populisten fordern bereits, die Konzerne sollten darauf verzichten, die kostenlos zugeteilten Rechte in ihre Kalkulationen einzupreisen.

Das lenkt nur vom Thema ab, denn dies wäre – wie erläutert – umweltökonomisch abwegig. Eine Möglichkeit, die Zusatzgewinne der Konzerne zu verhindern, wäre eben neben einer knapperen Zuteilung der Verkauf der Zertifikate durch den Staat. Der kann das eingenommene Geld dann anderweitig wieder an die Bürger zurückgeben. Großbritannien und die Niederlande haben das begriffen und werden einen Teil der Emissionsrechte im Rahmen einer Auktion ausgeben.

Die EU lässt es zu, dass bis zu zehn Prozent der Anteile verkauft oder versteigert werden …

… was noch viel zu wenig ist. Gleichwohl sollte Deutschland diesen Spielraum ausnutzen und zugleich bei der EU darauf drängen, dass der Anteil künftig deutlich erhöht wird.

Sie kommen in einer Studie zu dem Ergebnis, das heutige System der kostenlosen Zuteilung mache den Klimaschutz ineffizient. Erklären Sie kurz, warum?

Das wird am besten bei den Neuanlagen deutlich. Bei einer kostenlosen Zuteilung gehen die Belastungen für die Umwelt nicht adäquat in das Investitionskalkül der Unternehmen ein, mit der möglichen Folge, dass in Anlagen investiert wird, die sich aus umweltökonomischer Sicht nicht rechnen. Außerdem bekommen bei der heutigen Praxis Kohlekraftwerke mehr Zertifikate zugeteilt als Gaskraftwerke, weil Kohlekraftwerke mehr CO2 ausstoßen. Diesen Vorteil hätte die Kohle nicht, wenn die Kraftwerksbetreiber die CO2-Kontingente bezahlen müssten. Indem man aber heute Kohle bevorzugt, schafft man langfristig Strukturen, die klimapolitisch schädlich sind, weil ein Kraftwerk ja über Jahrzehnte Strom produziert. Volkswirtschaftlich gesehen wird Klimaschutz damit langfristig teurer, als er sein müsste. Interview: Bernward Janzing