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: In ihrem Schmutz, in ihrem Glanz

In Jim Jarmuschs Debütfilm „Permanent Vacation“ lässt sich die Geburt des US-Independent-Kinos besichtigen

Ein fast kahler, nicht sehr großer, ziemlich abgewohnter Raum mit zwei Fenstern. Vor dem einen auf einem Stuhl eine junge Frau im Nachthemd, eine Zigarette rauchend. Sie blickt hinaus. Auf dem Boden eine Matratze, an der linken Wand ein Spiegel. Rechts auf dem Boden ein kleiner, billiger Plattenspieler. Diesen Raum, mit Matratze, Frau, Spiegel, Plattenspieler, betritt ein junger Mann, er legt den Tonarm auf die erste Rille der Platte. Die Musik setzt ein, er beginnt zu tanzen. Er tanzt und tanzt, minutenlang, von der Kamera beobachtet, aber nicht oder kaum, von der Frau, die weiter raucht und aus dem Fenster blickt. Diese Einstellung aus Jim Jarmuschs Debüt „Permanent Vacation“ begründet, könnte man mit ein wenig Übertreibung sagen, das amerikanische Independent-Kino.

Eine Einstellung, in der man auf den ersten Blick nichts sieht als einen Raum, der aussieht, wie solche Räume aussehen, und einen jungen Mann, der tanzt, wie junge Männer tanzen. Der Coup ist, dass das minutenlang so geht, wie es im Leben auch minutenlang so geht, ohne den Eintritt eines Ereignisses, ohne den Beginn eines Plots. Vorbei ist der Tanz erst, als die Platte zu Ende ist. Es beginnt dann etwas wie ein Gespräch mit dem jungen Mann und der jungen Frau. Dann endet die Szene und eine weitere Szene beginnt. Aus der Folge der Szenen wird keine Geschichte. Der junge Mann wird durch New York streifen und Menschen begegnen, die junge Frau wird aus dem Film verschwinden. Am Ende bricht Chris Parker auf nach Europa und trifft einen, der gerade nach New York zurückkehrt. Offenes Ende eines Films, der quasi dokumentarische Eindrücke aus der Wirklichkeit bieten will und dies als entschiedene Absage an die Traumfabrik begreift.

Geld hat Jarmusch keines, als er den Film dreht. Er hat Film studiert, in New York, aber nicht zu Ende, lieber dreht er vom Stipendium, das er bekommt, mit „Permanent Vacation“ seinen ersten Film. Jarmusch bewundert die Filme von Wim Wenders, aber auch die von Yasujiro Ozu, Nicholas Ray und Robert Bresson. Er hat mit Tom DiCillo einen Kameramann, der eigentlich viel lieber als Schauspieler arbeiten würde (und später selbst Regisseur wird), und er hat Chris Parker, der in seinem Film Aloysius Christopher Parker spielt, einen Drifter. Aber sehr viel spielen musste er nicht – was man sieht, ist nahe an seinem Leben. In zehn Tagen wurde der Film gedreht, jeden Morgen war der Hauptdarsteller erst nach stundenlanger Suche aufzutreiben, und dann fuhr er das von Freunden geliehene Auto, das er in der Fiktion des Films stiehlt, im wirklichen Leben beinahe zu Schrott. Das alles erfahren wir in der der DVD beigegebenen deutschen Fernsehdokumentation aus dem Jahr 1984, die Jarmusch und Freunde in New York aufsucht und auf eher unfreiwillige Weise einen tiefen Einblick in den Zeitgeist der frühen Achtziger bietet.

„Permanent Vacation“ ist kein großer, aber doch ein wichtiger Film. Er zeigte den Weg, auf dem das Underground-Kino sich ein größeres Publikum würde erschließen können. Der Schein des Dokumentarischen, die Ästhetik des Lakonischen und Unbehauenen gehörten dazu genauso wie die existenzialistischen Sprüche und Lebensweisheiten, in denen die Hauptfigur hier herumschlottert wie in einem viel zu großen Anzug. Schon „Permanent Vacation“ fand, insbesondere in Deutschland, einige Beachtung. Die Zukunft gab Jarmusch endgültig Recht, mit den Nachfolgern „Stranger Than Paradise“ (1984) und „Down By Law“ (1986). Zum Massenerfolg wurde das Independent-Kino dann als virtuos zusammengekreuzter Wechselbalg von Genrefilm-Zitat und Jarmusch-Lakonie, bei Steven Soderbergh oder Quentin Tarantino. Jarmusch selbst ist im Laufe der Jahre manche Widerstandsgeste zur Manier geraten. Hier aber sind die Anfänge einer Epoche zu besichtigen, in ihrem Schmutz und in ihrem Glanz.

EKKEHARD KNÖRER

Die DVD ist für rund 15 Euro im Handel erhältlich