Die Weltmeister vom Mariannenplatz

Zeitgleich mit dem Schlussspurt mit der Fifa-Weltmeisterschaft steigt vom 2. bis 8. Juli die erste Straßenfußball-WM: das „streetfootballworldfestival 06“ am Mariannenplatz. Etwa 180 junge Straßenkicker aus 23 Ländern sind dabei. Zur Orientierung gibt’s rund um das Turnier ein Abc des Straßenfußballs

von Stefan Otto
und Lutz Steinbrück

A Afrika: Mit sechs Teams sollte der Kontinent ein Viertel des Teilnehmerfeldes bei der Straßenfußball-WM stellen. Aber den westafrikanischen Vertretern aus Ghana und Nigeria wurden die Visa verweigert. Übrig bleiben Teams aus Ruanda, Kenia, Südafrika und dem Senegal. In vier Gruppen treten nunmehr nur noch 22 Teams gegeneinander an.

B Bolzplatz-Stadion: Auf dem Mariannenplatz in Kreuzberg entsteht eigens ein Bolzplatz-Stadion für 2.200 Zuschauer. Gespielt wird auf dem Kleinfeld (15 x 25 m) mit je fünf Akteuren pro Team. Die Mannschaften treten mit gemischten Teams aus Jungen und Mädchen an. Für Fans kostet der Spaß einen Euro.

C „Chigol“ ist ein Straßenfußballprojekt aus dem Armenviertel „Cerro Navia“ in Santiago de Chile. Die Einladung nach Berlin habe einen enormen Motivationsschub bei den Jugendlichen in der ganzen Gegend ausgelöst, erzählt Projektleiter Pablo Hewstone. Für die Straßenfußball-WM wurden Initiativen eingeladen, die sich mit ihrer sozialen Arbeit besonders verdient gemacht haben.

D DJs: Aufs Ohr gibt’s einen bunten Multikulti-Reigen. Bei den Turniertagen legen DJs bis 22 Uhr im Stadion auf. Mit dabei sind u. a. die DJs Ipek (Elektrik Arabesk), Grace Kelly, Jimmy Bamba und Soko (Balkan Beats).

E Escobar, Andrés: Nach ihm ist die Trophäe benannt, um die es geht: „Copa Andrés Escobar“. Der kolumbianische Verteidiger schoss 1994 bei der WM in den USA ein Eigentor und wurde zur tragischen Figur des Turniers: Durch den Fauxpas schied sein Team aus, wenige Tage später wurde er in Kolumbien auf offener Straße erschossen. Unter dem Eindruck des Mordes entwickelte Jürgen Griesbeck in Medellin die Idee für ein erstes Straßenfußballprojekt.

F Förderer: Das Straßenfußballturnier ist Teil des offiziellen Kunst- und Kulturprogramms der Fifa-Weltmeisterschaft. Darüber hinaus wird es von der Bundesregierung und von der „Stiftung Jugendfußball“ unterstützt. Mit an Bord: Bundestrainer Jürgen Klinsmann als Botschafter und der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder als Schirmherr.

G Gastgeber: Die Lokalmatadore von „fx united“ aus Kreuzberg genießen auf dem Mariannenplatz Heimvorteil. In dem Team sind sechs Nationalitäten aus Jugendzentren in Kreuzberg vertreten. Ihr Pate ist Hertha-BSC-Verteidiger Malik Fathi. Am Sonntag um 14.30 Uhr bestreitet fx united das Auftaktmatch gegen den türkischen Vertreter „Sokak Ligi“ aus Ankara.

H Hiphop gehört für die Sportfreunde aus Norwegen während des Spiels zum guten Ton. Die Kicker aus Oslo kombinieren ihre Performance auf den Platz mit Hiphop-Beats. Beides bringt ihnen Punkte in der Meisterschaft.

I Israel und Palästina: Jugendliche aus beiden Ländern treten gemeinsam im „Peace Team“ an. Sie wollen damit ein Zeichen für eine friedliche Zukunft im Nahen Osten setzen. Betreut werden die Kicker von einem israelischen und einem palästinensischen Trainer. Bereits vor einem Jahr war eine Jugendauswahl des „Peace Teams“ zu Gast in München und spielte im WM-Stadion gegen die U17 des FC Bayern. Das bayerische Kultusministerium erklärte das Spiel zum offiziellen Schulausflug in Bayern, sodass die Arena bis auf den letzten Platz gefüllt war.

J Jugendarbeit: Trainer und Betreuer übernehmen bei den Projekten Aufgaben, die weit über das Engagement an der Seitenlinie hinausgehen. In der peruanischen Hauptstadt Lima will das Projekt „Escuelas Deporte y Vida“ über den Fußball benachteiligte Kinder zum Lernen motivieren. Die Trainer leisten soziale Arbeit und helfen als Tutoren bei den Hausaufgaben. Für die ganz Armen werden Lebensmittel verteilt.

K „Kick Aids“: In Südafrika gibt es eine der höchsten Aids-Raten der Welt. „Kick Aids“ heißt die Aufklärungskampagne des „Peace and Development Project“ in Pretoria. In Verbindung mit dem Fußball richtet sie sich präventiv gegen die Verbreitung von Aids. Zudem setzt sich das Projekt für das friedliche Miteinander verschiedener Ethnien und Religionen ein.

L Lumpen: Weil Lederbälle oft zu teuer sind, fertigen kenianische Jugendliche ihr Spielgerät aus alter Kleidung. Wie es gemacht wird, zeigen sie am Rande des Turniers: Papier und Lumpen werden in eine Plastiktüte gesteckt. Daraus wird ein Ball geformt. Für Stabilität sorgt ein Netz, das aus einem Band um die Kugel geflochten wird.

M Murga: Dass der Tango aus Argentinien stammt, weiß jeder. Aber wer kennt schon die Murga? Dieser Straßentanz ist ebenfalls in Buenos Aires entstanden. Zur Straßenfußball-WM wird er auch in Europa zelebriert: Mit Trommeln und trillernden Pfeifen sorgt das Team „Defensores del Chaco“ aus der argentinischen Hauptstadt zur Eröffnung für Stimmung beim Turnier.

N Netzwerk: Vor zehn Jahren wurde die Kooperative „streetfootballworld“ von Jürgen Griesbeck ins Leben gerufen. Ausgangspunkt war die Initiative „Fútbol por la Paz“ in Kolumbien, die anderen Projekten als Vorbild gedient hat. Heute gehören dem Netzwerk mehr als 80 Projekte in aller Welt an.

O O-Töne von Lucry: Der Song zur Straßenfußball-WM stammt von Lucry, einem 16-Jährigen mit Wurzeln in Kuba und Friedrichshain-Kreuzberg. Seine „Reggaeton“-Hymne „Ayayay“ hat er in eine Straßenfußball-Version umgedichtet, die er am 2. Juli live im Stadion präsentiert. Kostprobe: „Spielen uns den Ball zu und haben nur noch Spaß / Es ist der Respekt der die Türen knackt / Es ist der Ball der so viele Menschen glücklich macht.“ Lucrys erstes Album „El Latino Alemán“ erscheint im Juli.

P Preisverleihung: Der Initiator des Netzwerkes „streetfootballworld“, Jürgen Griesbeck, bekam im Mai in Barcelona für sein Engagement den „Laureaus Sport for Good Award“ verliehen. Die Auszeichnung wird jährlich an Sportler vergeben. Griesbeck zitierte anlässlich der Preisverleihung einen jungen Straßenkicker aus Kolumbien: „Ich hoffe, eines Tages wird der Frieden so ernst genommen wie der Fußball.“

Q Quartier: Untergebracht sind die Kicker in einer leer stehenden Schule in der Adalbertstraße. Das Quartier nennt sich „Team Village“ und wurde vom Architektenteam „raumstar“ entworfen. Die Schlafplätze sind maßgeschneidert. Betten und Regale wurden aus Baugerüsten gefertigt. Als Spielerkantine und Pressezentrum fungiert das Bethanien, wobei „kiezküchen“ fürs kulinarische Wohl der Aktiven sorgen. In der benachbarten St.-Thomas-Kirche findet am 2. Juli eine Andacht rund um den Fußball statt. Der Kiez zieht an einem Strang.

R Richthofen, Manfred von: 60 Kilometer vor den Toren Kabuls wurde im Herbst 2004 der Manfred-von-Richthofen-Bolzplatz eröffnet, damit sich das afghanische Team „Football Future“ auf das „festival 06“ vorbereiten konnte. Der Platz ist nicht nach dem gleichnamigen Jagdflieger („Roter Baron“) aus dem Ersten Weltkrieg benannt, sondern nach dem amtierenden Präsidenten des Deutschen Sportbundes.

S Schiedsrichter: Schiris gibt es nicht. Die Regeln werden vor jedem Match von den Teams neu ausgehandelt. Fragen, ob ein Ball von oben oder unten eingeworfen wird oder ob das Tor eines Mädchens doppelt zählt, werden zwischen den Spielern vereinbart.

T TransFair: Der gemeinnützige Verein sorgt dafür, dass fair produzierte Bälle ins Spiel kommen. Beim Turnier wird ausschließlich mit Bällen gespielt, für deren Herstellung die Näherinnen einen angemessenen Lohn erhalten haben. Nähzentren in Pakistan erhalten eine Zusatzprämie, die sie in Projekte zur Gesundheitsvorsorge und in schulische Bildung stecken.

U Umweltschutz: Einsatz bei der Müllentsorgung wird von der Organisation „Mathare Youth Sports Association“ aus Kenia mit Punkten für die Meisterschaft belohnt. Einmal Müllsammeln zählt so viel wie zwei Siege in der Liga. Das erfolgreichste Fußballprojekt Afrikas ist in 16 Slums aktiv und wurde 2003 und 2004 für den Friedensnobelpreis nominiert.

V Volunteers: Neben einer Vielzahl von professionellen Beteiligten sind auch 70 freiwillige Helfer im Einsatz. Sie betreuen Teams, Besucher und die Presse. Darüber hinaus sie sind als Chauffeure im Straßen-Dickicht unterwegs.

W Wer und wann und gegen wen? Alle Infos stehen im Netz unter www.streetfootballworld.org

X weitere Fragen: Wie sieht dein Bolzplatz aus? Mit wem spielst du in einem Team? Wie sieht’s bei dir zu Hause aus? Bilder und Clips aus dem Leben der Straßenfußballer der Welt – aufgenommen mit Einwegkameras – werden auf der Großbildleinwand im Stadion am Mariannenplatz gezeigt. Eine weitere Fotoausstellung, initiiert vom Goethe-Institut, nennt sich „Weltsprache Fußball“ und wird ebenfalls vor Ort gezeigt.

Z Zelluloid: Großes Kino in Kreuzberg? So ähnlich. Zumindest ist es ein globales Kino: Der 30-minütige Film „The Street and the Ball“ von Ciro Cappellari feiert am 2. Juli Weltpremiere im Bolzplatz-Stadion. Das Werk des Grimme-Preisträgers zeigt gesammelte Geschichten aus der Welt des Straßenfußballs und dem Leben der Kicker von Kenia bis Palästina.