Treptow liegt am Meer

taz-Serie „Hafenstadt Berlin“ (Teil 7 und Schluss): Der Treptower Hafen ist ein Knotenpunkt der Fahrgastschifffahrt. Seit Jahren boomt hier das Geschäft mit den Ausflüglern – und doch atmet der Ort die entspannte Atmosphäre eines Sommerurlaubstages

von RICHARD ROTHER

Der Treptower Hafen – keine zehn Fahrradminuten von Friedrichshain, Kreuzberg oder Neukölln direkt am S-Bahnhof Treptow gelegen – ist fast wie Sommerurlaub: Es riecht nach Buchenholzrauch und Räucheraal, weiße Schiffe schaukeln im Wasser, friedlich tuckert der Dieselmotor eines Dampfers. Maritimer geht es kaum, und wer sich hier auf einer der zahlreichen Bänke niederlässt, sucht Entspannung vom Stress der Stadt. Der alles überragende Turm der Allianz-Versicherung, die gerade tausende Stellen streicht, um den Profit der Kapitalisten zu mehren, kann die Hafenidylle ebenso wenig stören wie der starke Autoverkehr auf der Elsenbrücke, dessen Lärm ein freundlicher Sommerwind gen Innenstadt treibt. Rentner flanieren an Souvenirbuden vorbei, ein paar Teenies drohen neckend, sich ins Wasser zu werfen, und selbst die ehrgeizigen Szene-Jogger, die es vom Lausitzer oder Boxhagener Platz bis hierher geschafft haben, beeinträchtigen die Ferienstimmung nicht.

Es ist 12 Uhr an einem Werktag, und die MS „Belvedere“ legt ab zur großen Müggelseerundfahrt, die in den grünen Berliner Südosten führt – vorbei an der Insel der Jugend, imposanten ehemaligen Industriegebäuden in Schöneweide und hinaus auf den Großen Müggelsee, die große Badewanne Ostberlins. Das Sonnendeck der „Belvedere“ ist gut gefüllt mit Senioren und ein paar Touristen, die Ruhe vor dem städtischen Trubel suchen. Es dauert einige Minuten, bis das Schiff im Hafen gewendet hat, dann zieht es flott durch die Wellen der Spree – so schnell, dass man ihm auch eiligen Schrittes am Ufer nicht zu folgen vermag.

Vom Deck winkt zum Abschied eine Rentnerin aus Reinickendorf herüber. Vor dem Ablegen hat sie das Schiff fotografiert. Die Dampferrouten auf dem Tegeler See, der Havel und dem Wannsee kennt sie gut, aber im Osten der Stadt war sie bislang noch nie auf dem Wasser. „Hier soll’s ja auch sehr schön sein“, begründet sie ihren Ausflug. „Wir wurden eingeladen.“ Wo könnten Ost- und Westberliner besser ins Gespräch kommen als auf dem Sonnendeck eines Ausflugsdampfers?

Der Treptower Hafen mit seinen 15 Stegen aus Beton war lange Jahre der Haupthafen der Ostberliner Fahrgastschifffahrt. Weil der Weg die Spree hinab wegen der Mauer gesperrt war, ging es von hier aus nur nach Süden und Osten. Die Weiße Flotte, so der Name der staatlichen Fahrgastreederei, legte ab zur Regattastrecke in Grünau, zur Ernst-Thälmann-Gedenkstätte in Ziegenhals oder zur stets überfüllten Ausflugsgaststätte Rübezahl am Müggelsee. Eine Dampferfahrt in den Ferienspielen – so hieß die schulische Ganztagsbetreuung während der Ferien – war für viele Ostberliner Kinder eines der schönsten Sommererlebnisse, besser noch als das obligatorische Softeis oder der Besuch des Strandbads Grünau.

Heute fahren die Dampfer auch in Richtung Innenstadt, vorbei an Reichstag, Kanzleramt und Hauptbahnhof. Die boomende Fahrgastschifffahrt Berlins bedient zwei Bedürfnisse: Viele Touristen wollen die Sehenswürdigkeiten der Stadt vom Wasser aus sehen, die Einheimischen bevorzugen Ausflugsfahrten ins grüne Umland. Die doppelte Nachfrage beschert der Stern- und Kreis-Schifffahrt GmbH ein gutes Geschäft. „Jedes Jahr befördern wir rund zehn Prozent mehr Passagiere“, sagt Jürgen Loch, Geschäftsführer der größten Berliner Fahrgastreederei, die 1992 durch die Fusion der Weißen Flotte und der Westberliner „Stern und Kreis“ entstand.

Loch sitzt in seinem kleinen Büro, das ebenerdig am Hafen liegt. Wenn er die Jalousie ein wenig anhebt, kann er die Flaneure beobachten. Wie viele Menschen in die Ausflugsschiffe steigen, hängt stark vom Wetter ab, weiß Loch. Ein verregneter Sommer könne das Geschäftsergebnis schon mal schmälern. Dennoch ist sich der Bankkaufmann, der den Job in Treptow seit Mitte März macht, sicher: „Wir sind in Berlin Marktführer, und zwar quantitativ und qualitativ.“

Dass die Fahrgastschifferei ein Saisongeschäft ist, spüren vor allem die Mitarbeiter. Zwischen 250 und 270 Menschen beschäftigt die Stern und Kreis während der Saison, ganzjährig sind es nur 50. Schiffer sind im Winter oft arbeitslos, Köche und Kellner versuchen, anderswo unterzukommen. Umso härter ist dann der Sommer, der in der Branche von April bis November gehen kann: Dann sind die Männer und Frauen von früh bis spät auf den Booten unterwegs, oft an sieben Tagen in der Woche. In der Branche ist das durchaus üblich. Wer Glück hat, kann immerhin die wenigen freien Wochenenden in den Sommermonaten langfristig planen.

Für die nächsten Jahre erwartet Stern und Kreis weiteres Wachstum. „Die WM ist ein Aushängeschild für Deutschland und Berlin“, sagt Loch. In den nächsten Jahren würden noch mehr Touristen in die deutsche Hauptstadt kommen. In China, Indien und Osteuropa gebe es immer mehr Menschen, die noch nie in Westeuropa waren und sich dies jetzt leisten könnten. Davon profitierten auch die Ausflugsdampfer. „Die schönsten Blicke auf Berlin bekommen Sie vom Wasser“, sagt Loch. „Von dort können Sie der Kanzlerin auf den Schreibtisch gucken.“

Auch die Berliner werden künftig häufiger auf dem Wasser sein, ist man sich im Treptower Hafen sicher. „Früher war die Stadt von ihren Gewässern abgewandt“, sagt ein langjähriger Hafenmitarbeiter. Das habe zu Mauerzeiten auch mit dem Grenzverlauf zu tun gehabt. Seit 1989 besinne sich Berlin aber immer stärker seiner Lage am Wasser – die Architektur am Bundestag sei dafür ein prominentes Beispiel. Diese Entwicklung wird, so hofft man in Treptow, die Fahrgastschifferei nicht nur für Besucher der Stadt, sondern auch für die Berliner immer wieder interessant machen. Um dem nachzuhelfen, veranstaltet man hier besondere Events: Silvesterpartys auf Schiffen oder das alljährliche Hafenfest im Mai. „Etwas mehr maritimes Flair könnte es noch geben“, meint Hafenchef Loch.

Wer abends nach einer langen Bootstour in Treptow anlegt, muss das nicht unbedingt so sehen. Wieder festen Boden unter den Füßen, kann man den Blick noch mal von der Elsenbrücke über den Hafen schweifen lassen: Die Schiffe leuchten im milden Abendlicht, das Grün des Parks beruhigt das Auge – und dort, weit im Südosten am Ende einer glitzernden Wasserfläche, könnte da nicht, wo manchmal sogar Möwen kreischen, die Ausfahrt ins offene Meer sein?

Schöner als oben auf der Brücke, den Treptower Hafen vor Augen, kann ein Sommerurlaubsabend kaum beginnen.