„Ich mache mein eigenes Ding“

Lucry

„Mein Bruder ist Marktschreier. Er macht also im Prinzip das Gleiche wie ich: Er tourt durch Deutschland und versucht auf einer Bühne, sein Produkt zu verkaufen. Nur sind das in seinem Fall Fische“

Der 16-jährige Lucry ist auf dem besten Weg, ein Star zu werden. Der Deutschkubaner aus Berlin ist der erste Reggaeton-Künstler in Deutschland. Reggaeton kommt aus der Karibik – und gilt dort als Sound der Stunde. „Salsa ist im Vergleich dazu etwas für alte Leute“, sagt Lucry, der mit bürgerlichem Namen Louis Cruz heißt, noch bei seinen Eltern in Friedrichshain wohnt und die spanisch-deutsche Europaschule besucht. Gestern hat der 16-Jährige die Straßenfußball-WM in Kreuzberg mit seinem Lied „Ayayay“ eröffnet, das er extra für dieses Ereignis umgeschrieben hat. Im August erscheint sein Debütalbum: „El Latino Aleman – Die Mischung macht’s.“

Interview DANIEL BAX
und PLUTONIA PLARRE

taz: Lucry, die Straßenfußball-Weltmeisterschaft in Kreuzberg und deine Musik – wie passt das zusammen?

Lucry: Das Turnier ist multikulti wie meine Musik. Die Menschen, die hier mitmachen, sind jung, ehrgeizig und haben ein Ziel – genauso wie ich. Sie wollen unbedingt Fußballer werden; ich will mich als Musiker etablieren.

Gibt es noch mehr Parallelen?

Wie gut sich Fußball und Musik ergänzen, kann man doch bei den Brasilianern sehen. Sport bedeutet Power, Energie und Herzblut. Genauso ist es bei Hiphop und Reggaeton, meiner Musik.

Wie würdest du einem Laien diese Stilrichtung erklären?

Reggaeton ist eine Mischung aus Dancehall und Hiphop. Ursprünglich ist das Ganze in der Karibik entstanden, genauer gesagt in Panama und Puerto Rico. Nach dem Boom in den USA ist die Musik nun dabei, nach Europa rüberzuschwappen. Der Hit „Gasolina“ war in Deutschland nur ein Vorgeschmack. Da kommt bestimmt noch ’ne Menge nach.

Reggaeton ist zum Teil ganz schön sexistisch. Der Tanz heißt „Perrear“, frei übersetzt: „Es wie ein Hund machen“.

Stimmt. Perrear, also „doggy-style“, ist ein sehr körperbetonter, sexueller Tanz. Der gehört zu Reggaeton einfach dazu. Die Musik kommt von der Straße und hat deshalb eine gewisse Härte. Aber die Sprache ist nicht so platt. Es wird viel in Bildern gesprochen. Und es steckt Humor drin. Aber ich bin keiner, der einen Style nachäfft. Ich mache nicht pur Reggaeton, sondern auch sehr viel Hiphop. Meine Texte sind auf Deutsch. Und an meinem Debütalbum, das im August rauskommt, kann man sehen, dass ich versuche, mein ganz eigenes Ding zu machen.

Wo bist du zum ersten Mal mit Reggaeton in Berührung gekommen?

Auf Kuba. Da fliege ich jedes Jahr hin. Meinen Eltern ist das sehr wichtig. Mein Vater ist Kubaner, meine Mutter Deutsche. In Kuba hören die Kids seit Jahren Reggaeton. Das ist ihre Musik. Demgegenüber ist Salsa eher die Musik der alten Leute.

Wie haben sich deine Eltern kennen gelernt?

Meine Mutter war zu DDR-Zeiten an einer Universität in Kuba Dozentin für Agrarwissenschaften. Mein Vater, ein Maschinenbauingenieur, hat bei ihr studiert.

Du bist im Januar 1990 direkt nach der Wende in Berlin geboren worden und in Friedrichshain aufgewachsen. Fühlst du dich mehr als Deutscher oder als Kubaner?

Ich sage immer: „Ich bin halb und halb.“ Berlin ist meine Heimat. Mein Freundeskreis ist hier. Aber meinen Eltern war es immer wichtig, dass ich auch die andere Kultur kennen lerne. Ich bin zweisprachig aufgewachsen, gehe auf die spanisch-deutsche Europaschule in Schöneberg. Seit ich acht Monate alt bin, fahre ich regelmäßig nach Kuba. Und wenn ich dort bin, fühle ich mich wie zu Hause.

Verfolgst du mit deiner Musik einen politischen Anspruch, oder geht es um Partymachen und Spaßhaben?

Ich fahre keinen bestimmten Film. Auf meinem kommenden Album sind neben Partynummern auch ernstere Sachen drauf. Reggaeton, das ist nicht nur Musik, sondern eine ganze Bewegung. Das bekommt man am besten mit, wenn man in die Karibik fährt. Es ist unbeschreiblich, wie die Menschen dort auf die Musik abfahren. Überall, selbst auf den bicicletas – Taxis auf Fahrrädern – hört man Reggaeton.

Man braucht dafür kaum technisches Equipment?

Richtig. Das ist daran ja gerade so geil. Mit ein paar Kumpels, mit denen ich gerappt habe, bin ich mal im Westen von Kuba rumgetourt. Das Einzige, was wir dabei hatten, war ein CD-Spieler, unsere Beat-CD und ein Mikro. Alles war spontan. Wenn das Mikro nicht funktioniert hat, haben wir trotzdem weitergemacht. Es ist so eine Leichtigkeit dahinter. Keiner hat ein Studio für 100.000 Euro. Es gibt einen Typen in der ganzen Stadt, der die Beats vercheckt.

Kannst du dir vorstellen, dass der Funke, der in Kuba von Reggaeton ausgeht, auch auf die Leute in Deutschland überspringt?

Vielen meiner Freunde hier ist es so ergangen, und damit meine ich nicht nur die Latinos. Ich war zwar derjenige, der die ganzen CDs hergeschleppt und die Leute damit gefüttert hat. Aber sie sind ziemlich schnell drauf abgefahren. Auch in Clubs, in denen Black Music gespielt wird, kann man sehen, dass Reggeaton sehr gut ankommt.

Wie kommt man von Europa aus am besten an die Musik ran?

Über Reggaeton-Seiten im Internet. Da gibt es regelmäßige Updates, die ganzen Videos und Songs. Es gibt auch Seiten aus den USA. Aber da ich besser spanisch als englisch spreche, bin ich natürlich mehr auf den Seiten der Puerto-Ricaner unterwegs. Es gibt auch eine deutsche Reggaeton-Seite – www.reggaeton.de –, auf der man gute Musik findet. Nicht nur von den absoluten Stars, sondern auch weniger Bekanntes.

Kennst du noch andere deutsche Künstler, die Reggaeton machen?

Nee, überhaupt nicht. Ich glaub echt, ich bin der Erste, sozusagen der Vorreiter. Das ist es auch, was mich daran so reizt. Mir eine eigene Szene aufzubauen. Eine neue Welle loszutreten. Das könnte eine ziemlich gute Sache werden. Ich trete inzwischen zwar schon seit fünf Jahren auf. Meine erste richtige Tournee habe ich aber erst vor ein paar Tagen absolviert. Ich habe in mehren deutschen Städten in Schulen gespielt. Es ist ein total schönes Gefühl zu spüren, dass es den Leuten gefällt.

Im Alter von zehn Jahren hast du deinen ersten Text verfasst: „Der Deutsche-Kubaner.“ Was war der Auslöser?

Mein Halb-und-halb-Ding. Ich habe mich als Deutscher gefühlt, aber gleichzeitig gemerkt, dass mich manche Leute nicht als Deutschen annehmen.

Wurdest du ausgegrenzt und diskriminiert?

So krass würde ich das nicht sagen. Ich habe immer ein multikulturelles Umfeld gehabt, in dem ich mich sehr wohl fühle. Mich haben einfach gewisse Blicke und dumme Kommentare in der U-Bahn genervt. Deshalb war es für mich damals auch ein Konflikt um die Frage, wo ich zu Hause bin. Aber irgendwann hab ich mir gesagt: Du kannst zwei Sprachen, du hast zwei Zuhause. Und dann war ich stolz darauf. Das wollte ich ausdrücken und kam so zur Musik.

Warst du schon als Kind so ein stringenter Typ, der durchzieht, was er sich vornimmt?

Auf jeden Fall. Ich habe immer viel Sport gemacht, Taekwondo, Leichtathletik, Basketball, Fußball. Alle Sportarten. Und egal was ich gemacht habe: Ich wollte der Beste sein.

Aus eigenem Antrieb oder weil dich deine Eltern gepusht haben?

Meine Eltern haben mich immer unterstützt. Aber sie haben mich auch immer ermahnt, in der Schule dabei zu bleiben. Sie haben mich überhaupt nicht da reingezwängt. Im Gegenteil: Sie haben eher versucht, mich ein bisschen am Boden zu halten.

Was machen deine Eltern heute?

Mein Vater arbeitet bei der Organisation „Cuba si“ für Kuba. Meine Mutter ist bei Neckermann beschäftigt.

Du hast zwei ältere Brüder und eine jüngere Schwester: Haben die auch mit Musik zu tun?

Nein. Der eine Bruder arbeitet in einer Autofirma, der andere ist Marktschreier.

Wie bitte?

Ja. Im Prinzip macht er das Gleiche wie ich: Er tourt durch Deutschland und versucht auf einer Bühne, sein Produkt zu verkaufen. Nur sind das in seinem Fall Fische.

Hast du noch einen anderen Berufswunsch außer Musiker?

Der Fokus liegt eindeutig auf der Musik. Aber jetzt geht es erst mal darum, das Abi zu machen. Den mittleren Schulabschluss habe ich gerade geschafft – trotz der Musik. Ist alles gut gelaufen. Mathe, Physik und Chemie – also alles, was mit Formeln zu tun hat – ist nämlich nicht so mein Ding.

Steigt einem so ein Erfolg nicht allmählich zu Kopf?

Eigentlich nicht. Die Verbundenheit mit meinen Freunden und meiner Familie ist die gleiche wie früher. Auch was die Höhe meiner Gage angeht, bin ich weit davon entfernt, Höhenflüge zu machen. Bis ich mir ein eigenes Auto und eine Wohnung leisten kann, wird es noch eine Weile dauern. Solange bleibe ich bei Mama und Papa wohnen.

Wie stehst du zu Drogen, Alkohol und Zigaretten?

Ich rauche nicht – unter Jugendlichen ist man cooler, wenn man nicht raucht.

Den Traum, ein Musiker zu werden, haben viele Jugendliche. Was würdest du ihnen raten und worauf sollte einer, der berühmt werden will, achten?

Man muss hinter dem stehen, was man macht. Man darf die Dinge nicht nur tun, um ein Star zu sein. Das ist das Problem in den vielen Chart-Shows, die es zurzeit im Fernsehen gibt.

Die Popstars, die bei diesen Shows gezüchtet werden, empfindest du nicht als gleichberechtigte Talente?

Ich denke nicht, dass auf diese Weise richtige Künstler entstehen. Es ist wichtig, dass man klein anfängt, Erfahrung sammelt und da reinwächst. Nicht von null auf hundert wie bei den Chart-Shows. Die meisten Leute kommen damit nicht klar.

Was für eine Rolle spielt Berlin für deine Musik?

Je mehr ich rumkomme, umso mehr stelle ich fest, was für eine geile Stadt Berlin doch ist. Es gibt hier eine große Latino- und Musikszene. An fast jeder Ecke trifft man Leute, die Musik machen. Wenn man woanders sagt, dass man aus Berlin kommt, ist die Reaktion prompt: Wow Berlin, is ja krass. So viele Leute, die Bock auf was Neues haben, gibt es meiner Meinung nach nur in dieser Stadt.

Könntest du dir auch vorstellen, in Kuba zu leben?

Ich mag Kuba sehr gern, und ich kann mir vorstellen, viel Zeit dort zu verbringen. Leben möchte ich aber erst mal in Berlin.