Schlachtengemälde in grellen Farben

Torsten Frings wird von der Fifa für das Halbfinale gesperrt. Die TV-Beweise kamen pikanterweise von einem italienischen Fernsehsender

AUS BERLIN MARKUS VÖLKER

Das Spektakulärste, was über Torsten Frings bislang zu berichten war, betraf seine Frisur. Er lässt die Haare ja seit geraumer Zeit wachsen. Der Mittelfeldspieler ist an eine Wette gebunden. Erst nach dem Ausscheiden darf er zum Friseur. Er sehe aus wie ein Moschusochse, hat eine Zeitung neulich geschrieben. Das ist übertrieben. Frings, 29, pflegt seine Haarpracht nach allen Regeln der Coiffeurskunst. Bisweilen erscheinen im Schlosshotel Grunewald Schnittgewaltige aus der Manufaktur des Udo Walz, des Bundesbeauftragten für Haariges, geben Pflegetipps oder rasieren Schweini den Scheitel nach. Seit Montagabend, 20 Uhr, fragt sich die Fußballnation nun, ob Frings’ Zotteln beim Halbfinale schweißdurchtränkt am Schädel kleben werden, weil er wie von der Tarantel gestochen den Italienern nachsetzen wird – oder ob Frings sein Haar nicht mal shampoonieren muss, weil er nur auf der Bank sitzen wird.

Eine Ermittlung ist gegen den Profi des SV Werder Bremen angestrengt worden, höchstinstanzlich von der Fifa. Aus Torsten Frings ist der Fall Frings geworden. Eine schlimme Sache, die prompt mit einer Sperre des Bremers endete. Frings darf nicht ran gegen Cannavaro & Co. Was ist passiert, dass der maulfaule Kicker zum Delinquenten wurde? Man kennt die Bilder vom Viertelfinale am Freitagabend: Nach dem Elfmeterschießen im Spiel der Deutschen gegen Argentinien war es zum „Raufhandel“ (siehe Kasten) auf dem Platz gekommen. Leandro Cufre hatte Per Mertesacker attackiert, obwohl er es eigentlich auf einen anderen blonden Hünen abgesehen hatte: Tim Borowski. Ein Rudel rottete sich zusammen. Es kam zu Handgreiflichkeiten, an denen auch Frings beteiligt war. Das hat ein italienischer Fernsehsender pikanterweise aufgedeckt. Die Szenen wurden von italienischen Zeitungen nachgedruckt, unter anderem der linksliberalen La Repubblica.

Man sieht, wie Frings von Julio Cruz leicht geohrfeigt wird. Frings fährt daraufhin den linken Arm aus und touchiert Cruz am Kinn. Kein Faustschlag ist zu sehen, nur ein leichter Wischer. Cruz hat gesagt, er habe von Frings nichts abbekommen. Und Frings hat in einer norddeutschen Regionalzeitung seine Unschuld beteuert: „Ich habe mich in einem Pulk befunden, in dem alle wild um sich geschlagen haben. Ich habe selber zwei Schläge abbekommen. Da habe ich zu meinem Schutz die Hände nach vorne gestreckt, mehr war nicht.“ Die Absicht ist klar: Wer sich schützt, darf nicht bestraft werden. Aber wollte das auch die Fifa so sehen, der allgewaltige Weltverband, dessen Mediendirektor Markus Siegler nach Videostudium von einer „aktiven Beteiligung“ des Deutschen gesprochen hatte?

Nein, die Fifa sperrte Torsten Frings fürs Halbfinale gegen Italien. Die DFB-Initiative „Free Frings“ unter Vorsitz von Oliver Bierhoff und Rechtsanwalt Christoph Schickhardt scheiterte. Am Dienstagabend wird wohl Sebastian Kehl, vielleicht auch Tim Borowski, im defensiven Mittelfeld zum Einsatz kommen. Frings, der auch 5.000 Schweizer Franken Strafe zahlen muss, spielt ein halbes Jahr auf Bewährung. Er müsste bei einer weiteren Verfehlung erneut einmal aussetzen; die Entscheidung ist rechtskräftig und nicht anfechtbar.

Man muss nicht fantasiebegabt sein, um sich auszumalen, wie der Boulevard auf diese Nachricht reagiert. Von einer Intrige der Italiener wird die Rede sein. Die deutsche Mannschaft, die den Globus wieder in Schrecken versetzt (Oliver Bierhoff: „Die Welt hat Angst vor uns“), sei absichtsvoll geschwächt worden. Sicher, das deutsch-italienische Verhältnis ist nicht unbelastet, doch sollte man den Italienern zugute halten, dass die letzte Provokation von Deutschland ausging. Sie kam aus Hamburg von Hajo Schumacher alias Achim Achilles, der in seiner Kolumne auf Spiegel Online vom Leder gezogen hatte. In einer missratenen Satire bezeichnete er den Italiener als „parasitäre Lebensform“. Die Azzurri wurden als „erschöpfte Strandfußballer an der Adria“ beschrieben. „Nur bis zum Halbfinale kann diese Schlawiner-Taktik gutgehen“, nölte Achilles.

Auch die FAZ schwelgte nach dem 1:0-Sieg der Italiener über Australien im Achtelfinale in Ressentiments. Dort erregte sich der Schriftsteller Michael Lentz: „Die beschissenst spielende Mannschaft der WM kommt weiter!“ Beide Autoren reagierten empört auf einen späten Elfmeter, der den Italienern zugesprochen worden war. Die Rechtmäßigkeit dieses Pfiffs zweifelten sie an, um ihre Vorurteile vom Südländer und dessen „öligen“ Charakter auszubreiten. Geht man noch weiter zurück in der jüngeren Geschichte der verfreundeten Länder, dann stößt man auf einen monolithischen Block an Vorurteilen, an dem sich beide Seiten abarbeiten. Da ist zum Beispiel Stefano Stefani, der ehemalige italienische Staatssekretär für Tourismus, der über kartoffelfressende, rülpsende Deutsche herzog, die Italiens Strände belagerten. Davor hatte Silvio Berlusconi im Europaparlament den SPD-Abgeordneten Martin Schulz beleidigt: In einem Film über Konzentrationslager werde er ihn „für die Rolle des Aufsehers vorschlagen, Sie wären perfekt“, pöbelte Berlusconi.

Man muss sich fragen, warum in diesen Tagen so häufig von billigen Stereotypen zu lesen ist und nicht vom Großmut des kleinen Kalabresen Gennaro Gattuso, der nach dem Viertelfinale gesagt hatte: „Das war kein Elfmeter, allenfalls ein Elfmeterchen. Hätte er nicht Materazzi vom Platz gestellt, hätte er den Elfmeter niemals gegeben.“ Warum wird vorm Halbfinale in grellen Farben ein Schlachtengemälde gezeichnet? Warum sprießen aus dem Boden, den unter anderem die „positiven Patrioten“ bestellt haben, Vorurteile, giftige Keime, gegen die auf dem Fußballplatz kein Kraut gewachsen ist? Liebe Fifa, wie wäre es mit einer Kommission zur Klärung dieser Fragen? Sepp Blatter, ermitteln Sie!