Größenwahnsinnige Übermutter

Die Musik auf Madonnas Live-Album „I’m going to tell you a secret“ ist grandios – doch wenn Madonna auf der zugehörigen DVD dampfplaudernd durchs politische Weltgeschehen irrt, fragt man sich: Ist sie jetzt die neue Bardot?

Der Film über ihre „Reinvention“-Tour ist nicht gut angekommen. Für die einen war die auf Pro 7 ausgestrahlte Dokumentation ein Beleg, dass Madonna endgültig zur größenwahnsinnigen Übermutter geworden ist; andere fanden ihre Naivität in Sachen Nahost-Konflikt, den sie eben mal mit ein bisschen Kabbala-Pop beim Besuch in Israel beenden wollte, absolut indiskutabel; und dann war da noch das ewige Gekabbel mit ihrem ständig Pints wegschluckenden Guy Ritchie, das wie eine Soap-Version von „Szenen einer Ehe“ wirkte.

In voller Zwei-Stunden-Länge ist die jetzt auf DVD erschienene Hommage von Regisseur Jonas Akerlund noch schwerer zu ertragen. Ständig redet Madonna von Spiritualität, die den Menschen fehlt, und davon, dass man die Welt zu einem besseren Platz machen kann, wenn man auch seinen Feinden gute Besserung wünscht. Dass sich ihre Tänzer und Tänzerinnen vor dem Auftritt an den Händen fassen und gemeinsam mit der Chefin beten müssen, geht zwar in Ordnung – als fürsorgliche und streng erziehende Matriarchin steht die Unternehmerin Madonna durchaus in der Tradition Alfred Krupps. Aber wenn sie mit religiöser Inbrunst dampfplaudernd durchs politische Weltgeschehen irrt, bekommt man es mit der Angst zu tun. Ist Madonna womöglich die neue Brigitte Bardot?

Keine Frage, die Liebe zur Musik leidet sehr on the road with Madonna. Zumal die DVD davon oft bloß Mikro-Schnipsel einblendet: eine Stöhnsekunde lang „Erotica“, eine Hand voll Streichereinheiten aus „Rain“. Um die Fans nicht ganz zu verprellen, hat der Medienmulti Warner Brothers deshalb wohl eingelenkt – und dem Film eine vollständige Live-CD beigelegt, mit immerhin 14 der 24 Songs, die während der „Reinvention“-Tour 2004 aufgeführt wurden.

Plötzlich passt alles wunderbar. Während der Film vor lauter Ehrerbietung kaum Atmosphäre einfängt und stattdessen bei der vermeintlichen Tuchfühlung mit dem Star ziemlich blutarm bleibt, ist der Konzertmitschnitt ein echtes Ereignis. Nicht wegen der Nähe zum Event, auch nicht wegen der Stimme, der knackig gebackenen Beats oder dem orchestralen Lärm aus zig Keyboards und Sampler. Sondern weil er ohne Umwege die Verdichtung hörbar macht: Madonna live ist eine unfassbar präzise abschnurrende Entertainment-Maschine. So wie die anderen Großen, wie Sammy Davis Jr. oder James Brown, wie Frank Sinatra oder Dionne Warwick.

Diese Intensität vermittelt sich von Sekunde zu Sekunde. Im Intro von „Vogue“ ist es zunächst nur ein tiefes Bassbett, dazu das feine Sirren der Melodie. Ein zartes Klicken im Hintergrund deutet den Rhythmus an, der in genau dem Moment, da man seine eigene innere Uhr auf den Taktschlag eingestellt hat, mit ganzer Macht losbricht. Danach geht alles sehr schnell: das Kreischen der zigtausend Fans, der heliumhohe Gesang, der bei Madonna tatsächlich glammy und glitzy klingt – nach Discoeuphorie eben. Wenig später wird sich „American Life“ zu einem brutalen Nu-Metal auftürmen, wird „Like a Prayer“ als stadionförmiger Singalong-Rock wiedergeboren. „Music“ leiht sich bei Kraftwerk den typischen Klingklang aus, „Into The Groove“ spielt den Ball zurück in die House-Ära der späten Achtzigerjahre.

Schneller, besser, lauter. Mehr Zitate, mehr Beats. Auf diese Formel bringt Stuart Price als Musical Director das seit 20 Jahren währende Verwandlungspotpourri namens Madonna. Er ist der eigentliche Glücksgriff, ein Burt Bacharach, der die Sängerin selbst in der Routine von Balladen wie „Imagine“ heller strahlen lässt als alle Feuerzeuge dieser Welt. HARALD FRICKE

Madonna: „I’m going to tell you a secret“ (Warner Brothers), CD plus DVD