Unter der Maske

Die Zürcher Ausstellung „Gay Chic“ mag interessant sein, mit Homosexualität hat sie nichts zu tun

VON JAN FEDDERSEN

Annonciert ist die Schau an jeder Ecke Zürichs, auf Plakaten, vor ihrer Eröffnung auch in Kinospots. „Gay Chic“? Nirgendwo machte dies Skandal. Weshalb auch? Warum sollten sich brave Bürger über eine Ausstellung erregen, die vor zwanzig Jahren als subversiv gegolten hätte – während der gewählte Titel im Hier und Jetzt eher eine ästhetische Bagatelle darstellt.

Eine Exposition, die das Nonheterosexuelle zum Thema hat, aber das Grelle, das Provokante und das Irritierende dessen, was Schwule und Lesben in die bürgerlichen Öffentlichkeiten trugen, ausgespart hat? Und selbst wenn dies die ganz andere Absicht der KuratorInnen gewesen wäre – hätte sie am Zeitgeist nicht scheitern müssen?

Vermutlich wäre eine Ausstellung über die Wut Homosexueller auf das, dieses Fachwort sei eingeführt, Heteronormative, also auf die Kodierung aller gesellschaftlichen Kapillaren und Porensysteme an Männlich-weiblich-Binaritäten, am Wohlwollen der Bürger und Bürgerinnen zerschellt. Womit ist eigentlich noch Aufmerksamkeit zu erregen? Selbst ein Mensch, der durch eine Fußgängerzone trabte und vernehmlich „Ficken sofort“ murmelte, würde bei den meisten Passanten keinen erinnerungsfähigen Reiz auf den Synapsen erzeugen.

Aber „Gay Chic“ hat womöglich gar nicht erregen wollen. Man hat sich ersichtlich für das Offenkundige entschieden: eine Ausstellung über das Oberflächendesign der Moderne, über die Art und Weise, in der sich Heterosexuelle – egal welchen Geschlechts – in ihren äußeren Formen mehr und mehr von traditionellen Zeichen ihrer biologischen Geschlechtlichkeit entfernen.

Der Untertitel könnte insofern fast als Seufzer der einst aufständischen Homosexuellen gelesen werden: „Von der Subkultur zum Mainstrain“, ein gängiges Schema linker oder alternativer Erzählungen über den Umstand, dass alles, was moralisch fest schien, nun aufgeweicht ist zugunsten eines Anything goes. Wer sich mokiert, hat lifestyletechnisch schon verloren, sich als Illiberaler blamiert.

Soziologen wie der Däne Henning Bech haben dies schon vor 15 Jahren behauptet: Die Homosexuellen werden immer heterosexueller, sie wollen (einander) heiraten und Familien gründen; Heterosexuellen hingegen gefiel der schwule oder lesbische Lebensstil, also das Ausprobieren des Sexuellen an mehreren Partnerinnen, das Cruisen, das Abwarten, schließlich die Trennung von Sex und Liebe. Es ließe sich anfügen: Schwule wollten das, was sie für heterosexuell halten – und Heteros wollten in Anspruch nehmen, was sie für den Lebensstil von Schwulen halten.

Ein wechselseitiges Missverständnis? Auch. Images als Lizenz zum Nachmachen – warum nicht mit frommen Halbwahrheiten arbeiten? Eine geht so: Die Moderne sei das Zeitalter sexuell flanierender Bohemiens. Angestiftet durch Künstlerkreise, lebt man freisinnig ohne Ziel, ohne Sinn von außen. Wer Letzteren zu finden hofft, muss suchen – und zwar nur auf eigene Rechnung.

Die große Erzählung des Queeren geht freilich noch weiter. Die Queer Theory unter ihrer Fackelträgerin Judith Butler möchte alle einen, die ihre sexuelle Welt nicht heterosexuell leben oder leben wollen. Für die Sex nicht das Gleiche wie Gender ist, meint doch Ersteres das biologische, Letzteres das soziale Geschlecht – beides sei letztlich änderbar, umkodierbar. Eine Vagina sei noch lange kein Indiz für das weibliche Empfinden ihrer Besitzerin, ein Penis noch keines für die Männlichkeit, die die mit ihm geborene Person in sich konstruiert weiß.

Queer Theory ist der gedankliche Entwurf – und die Ausstellung „Gay Chic“ ihre mit deutschen Untertiteln versehene Illustration. An Stellwänden sieht man Zeugnisse mannigfaltiger Oberflächen aus der Welt des Populären. Boy George, Andy Warhol, Cindy Crawford beim Knutschen mit Madonna, David Bowie, Drag-Kings. HeldInnen einer erotischen Topografie der Moderne – man wird ermuntert, sich zu schminken, sieht Textilien, die nicht eindeutig sagen, zu wem sie passen. Hosen, Blusen, T-Shirts, allerdings sprechenderweise in Größen, die auf die Juvenilität der Körper hindeuten, die sie bekleiden oder bekleidet haben. Das war zweifellos einmal ein Kernmobiliar des Achtzigerjahre-Undergrounds, als alle dachten, das Sexuelle sei eine Maschine, mittels deren Reprogrammierung man das Heterosexuelle verzichtbar machen könne, ihm jedenfalls das Superiore bestreiten könne.

Dass die Texte zu den Exponaten gerade den Schwulen eine Hymne ausbringen, verwundert zunächst nicht. Die hätten immer schon, steht auf Tafeln zu lesen, einen eigenen, eben einen „Gay Chic“ hervorgebracht, seien körperbetont lebendig, liebten Mode und Musik, Glamour und Tragödie, feierten ekstatisch das Sexuelle und das Flüchtige, das in ihm notwendig liege. Heterosexuelle Männer seien allenthalben auf dem Weg zu metrosexuellen Ikonen, David Beckham gilt als Beleg, denn er kleide sich feminin, ironisiere seine Virilität mit lackierten Fingernägeln und style sein Haar, wie es sich kein Hetero aus grauer Vorzeit erlaubt hätte.

Tatsächlich lodert an David Beckham alles, nur kein Dementi klassischer Männlichkeit. Am Ende findet er eben doch seinen Platz neben seiner Frau Victoria. Wahr ist nur, dass Beckham mit Oberflächen zu spielen scheint, aber dabei stets heterosexuell bleibt. Queer an ihm, subversiv gar, ist nichts, gar nichts. „Metrosexuell“ – nur eine Vokabel, um zu relativieren, was diesem Briten eigen ist: dass er als Mann eine Frau begehrt, nichts sonst.

Aber so weit, so gründlich geht die Zürcher Ausstellung nicht vor, dort delektiert man sich an den Häuten der Phänomene – und hält sie frei nach Warhol schon für die Wahrheit, die keinesfalls in Tiefen geboren ist. Eben für das letzte Wort zur Sache.

Was die Sache ist, sie sein könnte? Aus der Perspektive der Queer Theory die Auflösung des Biologischen zugunsten der Konstruktion des Psychischen. Ein Mann mag ein solcher biologisch sein, aber das müsse nichts bedeuten; eine Frau sei eigentlich eine Frau nur dann, wenn sie es so empfinde – und lebe. Vergisst man all dieses Unterfutter zu allzu bekannten Fotografien, bleibt ein bizarrer Déjà-vu-Effekt: So, wie die jung-erwachsenen Menschen, Frauen oder Männer, in dieser Ausstellung aussehen, so sieht man sie auch in den studentischen oder so genannten Szenevierteln der Hauptstädte, in Stockholm, Berlin, Paris, Madrid oder London. Menschen, die die gleichen Hornbrillen tragen, die gleiche Coolness zelebrieren, ähnliche Schlabberklamotten lieben und – darauf kommt es an – nur wenige Zeichen zulassen, die einen Rückschluss auf ihre Sexualität erlauben.

Menschen, wie man sie aus Plattenfirmen kennt, aus Werbeagenturen und aus Redaktionen, in denen an Gender Mainstreaming keine Not ist, weil der reale Frauenanteil (der biologische) weit über die Hälfte des Himmels hinausgeht, die die klassische Frauenbewegung noch erobern wollte.

Aber was kann gegen Modisches schon gesagt werden. An jedem und jeder ihrer TrägerInnen Zertifikate, die sie jeweils als Statements für die eigene – ermüdend uniforme – Individualität nehmen können. Aber ist Mode bereits das, was sich in der Realität an Änderungen zugetragen hat? Möglicherweise offeriert Mode einen lockeren, spielerischen Umgang mit Geschlechtsrollen – jeder Mensch ist ja bisexuell, trägt also Männliches wie Weibliches in sich: Aber das tut dem grundsätzlichen Triebschicksal, um wiederum auf Freud zu rekurrieren, keinen Abbruch.

Ein metrosexueller Mann, ganz dem „Gay Chic“ erlegen, wird niemals einen Mann begehren – und ein schwuler Mann wird kein Modeschicki, wenn er weiß, dass er, beispielsweise, in der Macker-Homoszene so keinen der von ihm Begehrten kennen lernt. Man tut, was man auf dem Markt zu tun hat, soll ein ästhetisch begründetes Zölibat nicht das Ende vom Lied sein: Wer nicht ans Ziel kommt, ändert sich flugs, am ehesten, weil am leichtesten, eben oberflächlich: auf dem Körper.

Ein Teil des Underground mag „Gay Chic“ gewesen sein, aber die heterosexuelle Diversifizierung der äußeren Hülle als Verschwulung zu begreifen geht fehl. Doch vielleicht soll mit diesem Argument ein weiterer Irrtum begründet werden – jener, dass alles Erotische nur flüssig sei, Trieb und Begehren nichts als einzwängende Worte. Doch wenn die Verhältnisse nun mal so sind, wie sie sind? Wenn die meisten Männer anderen Männern nicht an die Hose gehen wollen, und Frauen nicht anderen Frauen?

Ein anderes Phänomen verdient in diesem Zusammenhang eine kritische Betrachtung, nämlich die Tilgung von Worten wie „schwul“ oder „lesbisch“ zugunsten eines Vokabulars, das in dem Wort „queer“ das homosexuelle Begehren zum Verschwinden bringen möchte. „Schwul“ ist ein schmutziges Ding, „Gay Chic“ schon vorzeigbarer. Aber schon die Behauptung, es habe so etwas wie einen „Gay Chic“ seit je gegeben, ist kaum stichhaltig. Wenn überhaupt, entstammt er dem Profilierungszwang bestimmter Schwuler und Lesben, die, in künstlerischen Berufen tätig, eine Ästhetik ihres Sinnes schufen.

Die Idee, dass Homosexuelle besonders künstlerisch veranlagt seien, ästhetisch interessiert oder sonst wie feinfühlig für die Dinge der Oberfläche, ist auch in der schwulen Szene populär – wenngleich sie von „Homoverstehern“ gern genutzt wird, um ihnen die Rolle zuzuschreiben, in der sie sich bitte einrichten möchten: nicht als Träger von Begehrensformen, homosexuellen vor allem, sondern als Männer, die durch die Tilgung des Geschlechtsunterschieds im Geiste der Queer Theory ihre Männlichkeit zugunsten einer Verweiblichung einbüßen.

Klassische Männlichkeit nämlich ist dieser Perspektive gemäß suspekt, die männliche Biologie steht unter einer Art Generalverdacht. Weiblichkeit oder das, was man für sie halten möchte, gilt als akzeptabel. Kein Wunder, dass die Zürcher Ausstellung kaum Ambivalentes bietet. Kein Narrativ, das den Heterosexuellen ein Forum dafür gibt, was sie an sich selbst mögen.

Unterm Strich ist „Gay Chic“ eine Revue des Bekannten; Plattencover hier, Androgynitäten im Textzitat wie im Bildbeleg en gros und en détail. Außerdem ein weiterer Versuch heterosexueller Provenienz, im Homosexuellen etwas ganz Anderes erkennen zu wollen, ein Freibeutertum, das allerdings nur so lange die Liebe feinnerviger Bohemiens heterosexueller Prägung genießen darf, wie es anders bleibt – man darf doch bitte vom Homosexuellen etwas mehr verlangen als das, was er ureigentlich ist: ein Mann, der Männer begehrt – oder eine Frau, die sexuell das gleiche Geschlecht bevorzugt.

Tatsächlich ist Sex mehr als eine Maskerade, die vom biologischen Geschlecht absehen könnte, „Gay Chic“ nur eine von Schwulen gern geglaubte ästhetische Idee vom Hehren, Wahren, Schönen im Gefolge der Warhols dieser Welt. Eine Zuschreibung, die mit realen homo- wie heterosexuellen Leben nicht viel gemein hat.

JAN FEDDERSEN, 48, ist taz.mag-Redakteur „Gay Chic – von der Subkultur zum Mainstream“.Ausstellung im Museum für Gestaltung, Ausstellungsstr. 60, CH-8005 Zürich (in der Nähe des Hauptbahnhofs); www.museum-gestaltung.ch, Dienstag bis Donnerstag 10 bis 20 Uhr, Freitag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr; noch bis einschließlich 16. Juli