Koalition weiter krank

Kritik an Gesundheitsreform jetzt auch aus CDU. Experten halten Fonds nicht für realistisch. Fischer: „Viel Elend“

BERLIN rtr/afp ■ Als erster CDU-Regierungschef hat der saarländische Ministerpräsident Peter Müller den Kompromiss der großen Koalition bei der Gesundheitsreform offen kritisiert und Nachbesserungen gefordert.

„Ich halte es für einen Fehler, dass nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, um eine Beitragserhöhung bei der gesetzlichen Krankenversicherung zu vermeiden“, sagte Müller dem Spiegel. Im Gesetzgebungsverfahren müssten Änderungen vorgenommen werden, um bei den Arzneimitteln mehr Geld zu sparen als geplant. Zudem bekräftigte er die Forderung der CDU nach Leistungskürzungen, etwa durch die Herausnahme von privaten Sportunfällen aus der Krankenversicherung.

Die SPD warf Müller „populistische Forderungen“ vor und schloss Leistungskürzungen aus. Vorschläge der SPD für weitere Einsparungen bei Arzneien seien von CDU und CSU blockiert worden. CSU-Chef Edmund Stoiber meldete weiteren Reformbedarf im Gesundheitswesen an.

Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigte den Kompromiss der Koalitionsspitzen. Die Beitragsanhebung sei „nicht unsere Antwort auf die Zukunft, sondern das ist die Summe der Fehler aus vielen vergangenen Jahren“, sagte sie in ihrer wöchentlichen Ansprache im Internet.

Für die Reform soll 2007 der Krankenversicherungsbeitrag um etwa 0,5 Prozentpunkte steigen. Ab 2008 sollen 1,5 Milliarden Euro aus dem Bundesetat für die Kinderversicherung gezahlt werden, im Jahr darauf 3 Milliarden Euro.

Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen bezweifelte, dass die beschlossene Einführung eines Gesundheitsfonds bis Anfang 2008 überhaupt zu realisieren ist. „Ich denke, dass auch die Mitglieder der großen Koalition das wissen und in Wirklichkeit auch gar nicht planen, den Fonds noch vor der nächsten Bundestagswahl zu starten.“

Der frühere Außenminister Joschka Fischer (Grüne) sagte, mit der halbherzigen Gesundheitsreform habe sich die große Koalition „in der Substanz delegitimiert“. Der Kanzlerschaft Merkels attestierte er „wenig Glanz, viel Elend“. Die Ministerpräsidenten hätten im Kampf um die Reform „die innerparteiliche Machtfrage“ gestellt.