Ein Anarch ohne Hass

Ein Mann, der sich über alles lustig machte – über Punx wie überiranische Mullahs

VON JAN FEDDERSEN

Krebskrank war er längst, wusste, dass seine Tage gezählt sind, wünschte nur noch, einmal seine Bäume, seine Blumen aufblühen zu sehen. Und dann würde er sterben müssen, bekannte er in seinem letzten Zeitungsgespräch, das im Magazin der Süddeutschen Zeitung am 17. März zu lesen stand. Den Tod fürchte er nie, aber das Sterben und ob es ihm Schmerzen bereite. Dass Rudi Carrell in diesem Interview so offen über Intimes sprach, mag auch mit dem Umstand zu tun gehabt haben, dass die Bild-Zeitung eine Bemerkung aus der Bunten über den Lungenkrebs zu einer apokalyptisch angstschürenden Story aufbriet. Das habe er unfair gefunden, diese grelle Schlagzeile lasse andere Krebskranke fürchten – weshalb er nun sprechen wolle.

An andere Menschen zu denken, sie nicht zu blamieren, sie nicht zu entlarven – so hat er in seinem Fach gearbeitet, als Entertainer, Spieleerfinder, Gaglieferant, Sänger – und ein Quoten-, also Volksheld. 1934 in Alkmaar geboren, Spross aus ärmlichen Verhältnissen, die Mutter seine größte Förderin, der Vater auch schon auf der Bühne als Unterhalter, brach Rudolf Wijbrand Kesselaar seine Weg zum Abitur ab, um seiner Familie finanziell zu helfen. Erste Shows im jungen Fernsehen der Niederlande, schließlich 1964 die erste Auszeichnung, als er für seine Rudi-Carrell-Show mit der Goldenen Rose von Montreux den wichtigsten Fernsehpreis zugesprochen bekam. Das deutsche Fernsehen wurde auf ihn aufmerksam – auch in der holländischen Fassung war erkennbar, was Carrell besser als alle anderen konnte: Leute zu unterhalten, ohne sie zu blamieren, das Publikum mit Kurzweil am Bildschirm zu halten – nicht mit Enthüllungen, Entlarvungen wie Anfang der Siebziger „Wünsch Dir was“ mit dessen Präzeptor Dietmar Schönherr, Vorbild von „Wetten, dass …?“ wie später aller grenzwertig leuteverarschenden Showformate auf RTL oder Sat.1.

Carrell hingegen wollte kein Sadist pädagogischen Zuschnitts sein; als Niederländer fiel es ihm vielleicht einfacher als deutschen Kollegen, das Volk nicht für dumm zu erklären und es als solches belehrt von oben herab zu verladen. Sein Credo war knapp: Die Seelen der Menschen zu erreichen, sie zum Lachen wie zum Weinen zu bringen. „Am laufenden Band“, die Familienshow aus der Mitte der Siebziger, war die Klimax seiner TV-Karriere: Familien spielen miteinander – und die Siegercrew darf am Ende Konsumartikel aller Art mit nach Hause schleppen, vom Fahrrad, Reisen, Schuhen bis zum Fön.

Deutschland? „Ich verdanke diesem wunderbaren Land mein Leben.“ Beruflich ultraerfolgreich und geliebt – weshalb er auch, wie er der SZ berichtete, die Karibik nie wieder für die Ferien ansteuert: Da kenne ihn niemand, in Bremen, nahe seiner Wohnorte, allerdings jeder. Er werde wieder erkannt, man sei freundlich zu ihm – und er könne auch nett sein. Er passte ja auch gut in den sozialliberalen Zeitgeist, der seit den späten Sechzigern die schwarzrotgoldenen Milieus durchwehte – ein Bühnenanarch, der keinen Hass pflegte, dessen Pose die des Tribuns war, der, so gesehen, generationsübergreifend akzeptiert war.

Ein Mann, der sich über alles lustig machte – über Punx wie über iranische Mullahs. Letztere ereiferten sich über eine Satire Carrells, in der gezeigt wurde, wie ein Ajatollah sich mit weiblichen Dessous huldigen lässt, welche seine Jünger ihm entzückt zuwerfen. Die diplomatischen Verwicklungen, räumte Carrell ein, möchte er nicht noch einmal provozieren: Konnte er denn wissen, dass Religiöse kein freundliches Verhältnis zu sich selbst haben? Der Zorn Helmut Kohls traf ihn nicht minder. Das war, nachdem er in einer Bildcollage den Kanzler zeigte, wie er einer Menge zuwinkt – und als Gegenschnitt eine Riege von Nutten. Das war selbstverständlich politisch inkorrekt – aber Carrell hatte, das ist sein Unterschied zu Kollegen wie Frank Elstner, Thomas Gottschalk, Wim Thoelke oder Vico Torriani, keinen Sinn für intimes Geraschel mit den Oberen. Lieber hatte er es mit den niederen Ständen, die kannte er, selbst in ihnen geboren: ein Sozialdemokrat ohne Parteibuch, ein Anarch, der im Zweifelsfall die Hehren & Schönen & Wichtigen mit Spott bedachte. Und das mit Professionalität. Überliefert ist sein Staunen, als er in den Niederlanden einmal Marlene Dietrich dabei zusah, wie sie die Bühnentreppe fegte – um sich zu vergewissern, dass nichts auf den Planken liegt, über das sie hätte stolpern können. Um einen Joke aus dem Ärmel zu ziehen, meinte Carrell, müsse man erst mal welche hineinstecken: Auch dies eine Kritik am flapsigen Showgetue jener, für die Namen wie Pocher oder Elton stehen.

Carrell konnte es sich leisten, aufs Schöngerede nichts zu geben. Ließ sich einen Sexisten schimpfen, weil er einer Assistenten mal an die Brüste ging, was er später bedauerte, aber zu bedenken gab, dass er weißglühte vor Wut, weil die schon morgens um zehn besoffen zur Probe kam. Das habe er als Verachtung für das Publikum genommen, als billige Art, gute Gage abzuzocken – im Fernsehen, so fasste Carrell es zusammen, säßen inzwischen zu viele Redakteure, die ihre Sendungen durchwinken, keine Liebe auf sie verwenden. Weil sie ihre Kundschaft auch nicht schätzen – und mit Konfektion abspeisen.

Kein Wunder, dass dieser Mann nicht für alle KollegInnen ein Darling war: Da forderte einer Qualität – und geizte auch nicht mit Namen, die er für unter aller Würde hielt. Die Güte eines Produkts, das ins Fernsehen kommt, war ihm heilig: Das galt erst recht für das Format, das er „Herzblatt“ nannte, eine frühe Form des Public-Viewing-Flirtens, schließlich „7 Tage, 7 Köpfe“, eine telegener Stammtisch ohne Deutschtümeln, aber mit einer Menge Lästerei über falsche Posen und miese Heuchelei.

Im letzten Zeitungsgespräch bekannte er, keine öffentliche Beerdigung zu wollen, „aus Angst vor den Jacob-Sisters! Mit ihren komischen Pudeln zerstören sie doch jede Atmosphäre“ – besser ließ sich im Wissen um das eigene Sterben die kleinbürgerliche Adabeiszene nicht karikieren.

Carrell starb am Freitag an den Folgen seiner Lungenkrebserkrankung. Seine Blumen und Pflanzen auf seinem Gutshof bei Syke nahe Bremen hat er im Frühling noch blühen sehen können.