Feuerwerk fehlt

Das Urteil steht fest: Dieser WM fehlte das Spektakel. Doch das ist falsch: Der Fußball war weit offensiver ausgerichtet als allgemein behauptet wird

Das WM-Finale 2006 war ein außerordentlich intensives Fußballspiel, ein hoch spannendes dazu, am Ende auch ein dramatisches und eines mit tragischen Momenten: Vieiras Verletzung und vor allem natürlich Zidanes Entgleisung. Trotzdem rutschte dem Premiere-Kommentator Marcel Reif irgendwann, als die Partie sich schon dem Ende zuneigte, das böse Wort heraus: „Trainerfußball“, sagte Reif, „es ist Trainerfußball.“

Trainerfußball ist eines der heimlichen Schlagworte der deutschen Weltmeisterschaft geworden. Es wurde vorzugsweise dann in Anschlag gebracht, wenn beide Mannschaften ihre defensive Strategie so durchsetzen konnten, dass die gegnerischen Offensivbemühungen weitgehend neutralisiert wurden. Die Trainer sehen die Verwender des Begriffs dabei nicht nur als die Autoren des Spektakelverhinderungsfußballs; sie schreiben ihnen dazu noch eine Form von exklusivem Expertengenuss an einer vermeintlichen Ereignislosigkeit zu. Man könnte es allerdings auch schlichter sagen: die Trainer sind schuld am fehlenden Feuerwerk und sie haben auch noch Spaß daran. Auf die Vorführungen auf dem Rasen bezogen wird von einer vermeintlichen Trainerfußball-WM deshalb vor allem die eine Frage stehen bleiben: Hat die Verpackung gestimmt, aber nicht das Produkt?

Es gilt bereits jetzt als ausgemachte Sache, dass bei der WM 2006 ausgerechnet der Fußball zu kurz kam. Genauer gesagt: jener Teil des Fußballs, bei dem es darum geht, mit dem Ball nach vorne zu kommen, um ihn dort ins gegnerische Tor zu befördern. Wenn man so will, also die spektakuläre Seite des Spiels und damit auch die populäre.

Aber war das wirklich so? War es auf dem Platz eher eine WM der Fußballverhinderung? Muss die WM in der Rückschau gar als Plädoyer für defensiven Fußball gelesen werden?

Drei von vier Halbfinalisten, sagen die Zeugen der Anklage, haben nur einen einzigen Stürmer aufgeboten. Nur welche Beweiskraft hat das, wenn hinter Portugals Spitze Pauletta auf den Flügeln Cristiano Ronaldo und Figo agieren? Zwei Spieler also, die – was ihr Potenzial betrifft – Außenstürmer von Weltklasseformat sind. Weshalb man anstatt von einem Stürmer ja auch von dreien reden könnte.

Oder wie ist die Kritik am Ein-Mann-Angriff zu bewerten, wenn Ribery und Malouda die offensiven Seiten hinter Frankreichs Center-Stürmer Henry besetzen. Und Zidane die offensive Mittelfeld-Zentrale dahinter. Was die taktische Grundformation angeht, ist das unumstrittene europäische Vorzeige-Offensivteam des FC Barcelona nicht vorwärts strebender besetzt. Auch dort formiert sich die eigentliche Offensivabteilung mit Deco, Giuly, (Messi), Eto’o und Ronaldinho in Rautenform.

Und das vor einer doppelten Sechs vor der Abwehr. Bei der WM 2006 hatten ebenfalls alle Großen die Defensivposition vor der Innenverteidigung doppelt besetzt. Was vielfach als weiteres Indiz für die Verhinderung von Offensivspektakeln gedeutet wurde. Außer Acht bleibt da aber, dass Sechser mit ihren Ball-Eroberungen an zentraler Stelle nicht nur die Voraussetzungen für ein druckvolles Offensivspiel leisten. Viele Sechser (Ballack, Pirlo, Vieira, Maniche) spielen auch in der Eröffnung der Offensive selbst die zentrale Rolle.

Ob die klassische 4-4-2-Formation (Deutschland), das 4-5-1-WM-06-System oder der holländische 4-3-3-Klassiker: Taktische Grundordnungen sind erstens fließend (viele Teams wechseln sie je nach eigenem oder gegnerischen Ballbesitz), zweitens sind sie eine Frage ihrer Interpretation auf dem Platz – und des Gegners. Was auch bei der DFB-Elf gut zu sehen war: Mit zwei Stürmern, zwei weiteren Offensiven (Schneider, Schweinsteiger/Borowski) und nachrückenden Defensiven mit großem Offensivpotenzial (Ballack, Frings und an der Seite Lahm) war das Klinsmann-Team nominell sehr offensiv ausgerichtet und kreierte im Viertel- und Halbfinale aus dem Spielverlauf heraus dennoch nur maximal zwei Chancen in 90 Minuten. Bemerkenswert war, dass der Gegner kaum mehr Möglichkeiten hatte. Trainerfußball? Sind nicht die Kritiker des Trainerfußballs die Ersten, die von Naivität und Dilettantismus sprechen, wenn Defensivketten bei großem gegnerischem Offensivpotenzial zu hoch stehen? Oder wenn sich beim Ballverlust in der Offensive zu viele eigene Spieler vor dem Ball befinden?

Das Beschwören magischer Momente und Spiele gehört zum Fußball wie die Klage über ihr Ausbleiben. Natürlich war die WM 2006 kein großes Fest des Offensivfußballs. Aber sorgen muss man sich nicht um ihn. Im Gegenteil. Verloren haben die, die ihr Offensivpotenzial nicht in die Waagschale geworfen haben: Brasilien (insgesamt) und Argentinien (gegen Deutschland). Weltmeister ist Italien – nachdem Lippi das auf hohem Niveau neutralisierte Halbfinale gegen Deutschland mit der Einwechslung von Offensivkräften entschied. Auch eine Form von Trainerfußball übrigens.