Regierung bei Integration laut, aber machtlos

Migrantenkinder sollen schon vor der Schule Deutsch lernen, fordert die große Koalition. Doch umsetzen kann sie ihre hehren Ziele nicht. Bildungsfragen sind Sache der Länder. Hessen plant neue „Integrationsklassen“

BERLIN/WIESBADEN taz ■ Eigentlich wollte die große Koalition schon zwei Tage vor dem Integrationsgipfel im Kanzleramt, ihre große Kompetenz und Entschlusskraft demonstrieren – mit einer feierlichen Erklärung voller Handlungsanweisungen, die heute im Kabinett von allen Ministern beklatscht und beschlossen werden soll. Doch der Schuss ging nach hinten los.

Ausgerechnet bei einem ihrer wichtigsten Anliegen – dem Spracherwerb für Migrantenkinder schon im Vorschulalter – musste die Bundesregierung gestern bereits ihre eigene Machtlosigkeit einräumen.

In einem Entwurf für den Kabinettsbeschluss, der gestern der taz vorlag, heißt es hochtrabend, die Regierung betrachte die Integration von Zuwanderern als „politische Schlüsselaufgabe“. Als eines der wichtigsten Ziele nennt sie, man wolle „von Anfang an deutsche Sprache fördern“. Auch Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) betonte gestern, Integrationsdefizite ließen sich besser verhindern, wenn Ausländerkinder schon vor ihrer Einschulung die deutsche Sprache beherrschten. Dafür werde es zusätzliche Anstöße geben müssen, sagte Schäuble.

Anstöße, mehr nicht. Denn die Bildungspolitik fällt in die Zuständigkeit der Länder. Ein Umstand, der durch die gerade beschlossene Föderalismusreform zementiert wurde. So musste Schäuble einräumen, dass die Bundesregierung Deutschkurse im Kindergarten gar nicht beschließen könne. Auch keine „Deutschpflicht für Ausländerkinder“, die von der Regierung laut Welt gewünscht wird. So bleibt es zumindest bei der Sprachbildung der Kinder eine leere Floskel, wenn die Regierung in ihrem heutigen Beschluss erklärt: „Wer Forderungen stellt, muss auch fördern.“ Denn Fördermaßnahmen des Bundes im Bildungsbereich wie beim rot-grünen Ganztagsschulprogramm hat sich die große Koalition im Zuge der Föderalismusreform selbst verboten.

Wohl auch deshalb dämpften Unionspolitiker gestern die Erwartungen an den Integrationsgipfel, zu dem Kanzlerin Angela Merkel 70 Teilnehmer aus Politik und Verbänden erwartet. „Beschließen kann der Gipfel nichts“, sagte der NRW-Integrationsminister Armin Laschet (CDU) der Financial Times Deutschland, denn die entscheidenden Themen Bildung, Sprache, Schulen und Kindergärten seien Sache der Länder und Kommunen.

Was dort passiert, entscheidet nicht der Bund. So stellte die hessische Kultusministerin Karin Wolff (CDU) gestern ihre neuen Pläne zur Integration nichtdeutschsprachiger Kinder und Jugendlicher in den Schulalltag vor. Ab dem kommenden Schuljahr sollen landesweit Integrationsklassen und -kurse eingerichtet werden. Ein Jahr lang sollen Ältere und Jüngere in eigenen Klassen zusammengefasst werden und 20 bis 28 Stunden intensiven Deutschunterricht bekommen. Erst dann könne man sie je nach Eignung in die normalen Klassen entlassen. Die Kinder könnten aus verschiedenen Schulformen und -jahren nach Altersstufen zusammengefasst werden: „Was sie verbindet, ist die Nichtkenntnis der deutschen Sprache.“ Einzelne Fächer wie Sport und Musik könnten sie bereits von Anfang an mit den zukünftigen Mitschülern gemeinsam besuchen. In bevölkerungsärmeren Regionen und dort, wo der Zuwandereranteil geringer sei und Klassenstärken nicht erreicht werden könnten, werde man parallel zum regulären Unterricht Intensivkurse einrichten.

Wolff wies Kritik zurück, dass Kinder in diesen „Extraklassen“ eher isoliert statt integriert werden könnten. Diesen Vorwurf habe es bereits vor fünf Jahren gegeben, als die ersten Integrationskurse an den Grundschulen eingerichtet worden seien. Die Erfahrungen seien „sehr gut“, die Quote der Sitzenbleiber rapide gesunken. „Deutschkenntnisse sind der Schlüssel.“ Da es noch keine gesicherten Erfahrungswerte über die zu erwartende Schüleranzahl gebe, gehe das Ministerium vorerst von rund 85 Klassen und bis zu 350 Kursen für über 5.000 Kinder aus. Dafür sollen 45 Millionen Euro aufgebracht und 200 Lehrerstellen eingeplant werden. Die bisher praktizierten Begleitkurse könnten entfallen. HEIDE PLATEN

LUKAS WALLRAFF