„Steuerausfälle bis zu 15 Milliarden Euro“

Niedrigere Steuersätze für Kapitalgesellschaften sollen Deutschland ab 2008 international wettbewerbsfähiger machen. Doch die Reform könnte in der jetzigen Form zu einem Debakel bei den Steuereinnahmen führen, warnt Steuerexperte Lorenz Jarass

INTERVIEW TARIK AHMIA

taz: Herr Professor Jarass, die Koalition will die Steuersätze für Kapitalgesellschaften unter 30 Prozent drücken. Liegt sie damit richtig?

Lorenz Jarass: Die Bundesregierung macht den zweiten Schritt vor dem ersten. Es wäre richtig, zunächst die steuerliche Bemessungsgrundlage zu verbreitern. Das heißt, die Regierung müsste sicherstellen, dass alle Unternehmen auf ihre in Deutschland erwirtschafteten Kapitalerträge auch tatsächlich Steuern bezahlen. Derzeit zahlen einige Unternehmen nur auf einen Teil ihrer Erträge Steuern. Erst danach sollten die nominalen Steuersätze gesenkt werden.

Eine breitere Bemessungsgrundlage wird aber in den Eckpunkten zur Steuerreform nicht vorausgesetzt.

Und damit droht die Reform ein Fehlschlag zu werden, so wie die letzte Steuerreform von 2001. Insgesamt hat der Staat dadurch bis heute an die 100 Milliarden Euro Einnahmen verloren. Wenn auch diesmal die Bemessungsgrundlage nicht verbreitert wird, dann ist die Reform eine simple Steuersatzsenkung mit bis zu 15 Milliarden Euro Steuerausfall pro Jahr. Dafür würden dann wieder Arbeitnehmer, Rentner und Selbständige zur Kasse gebeten.

Wieso ist die Bemessungsgrundlage so wichtig?

Weil das deutsche Steuersystem internationale Investoren gegenüber inländischen massiv bevorzugt. Während die auf den deutschen Markt konzentrierten Firmen ihre Erträge mit bis zu 40 Prozent versteuern müssen, können ausländische Investoren ihre steuerliche Bemessungsgrundlage bis auf null herunterrechnen. Die Masche ist immer die gleiche: Sie kaufen deutsche Firmen auf und finanzieren den Kaufpreis zum großen Teil mit dem Eigenkapital der aufgekauften Firma und mit Krediten. Die Schuldzinsen werden dann aus den Gewinnen der Firmen zurückgezahlt. So werden aus bisher steuerpflichtigen Gewinnausschüttungen plötzlich steuerfreie Schuldzinsen. Das ist völlig irrational.

Wie lässt sich die ungerechte steuerliche Behandlung zwischen inländischen und ausländischen Investoren beseitigen?

Die Verwandlung von steuerpflichtigen Gewinnen in steuerfreie Schuldzinszahlungen darf nicht mehr möglich sein. Die Lösung dafür ist, in Zukunft nicht nur die Gewinne, sondern auch die in Deutschland ausgezahlten Schuldzinsen und Lizenzgebühren zu besteuern. Sie sollten voll der Gewerbesteuer zugerechnet werden. So könnte sich der Staat von allen Kapitalentgelten einen gleichmäßigen Anteil von 20 Prozent sichern. Erst dann lassen sich im Gegenzug die nominalen Sätze der Körperschaftsteuer aufkommensneutral senken.

Die Bundesregierung drängt aber auf eine sofortige Senkung der hohen nominalen Steuersätze für Unternehmen, weil sie darin einen Standortnachteil für Deutschland sieht.

Es ist richtig, dass die nominalen Steuersätze für Kapitalgesellschaften in Deutschland mit fast 40 Prozent im internationalen Vergleich zu hoch sind. Gleichzeitig zahlen die Firmen in Deutschland aber mit die niedrigsten tatsächlichen Ertragsteuern in Europa. Sie liegen nach unseren Berechnungen für 2004 und 2005 bei rund 15 Prozent. Die EU-Kommission gibt die tatsächliche Belastung der Unternehmens- und privaten Vermögenseinkommen in Deutschland mit rund 20 Prozent an. Alle anderen westlichen EU-Länder liegen bei 25 Prozent oder darüber.

Die Bundesregierung rechnet durch die Reform mit mindestens fünf Milliarden Euro Steuerausfällen. Gleichzeitig hofft sie, dass die Reform durch ihre positiven Auswirkungen auf die Wirtschaft langfristig aufkommensneutral ist.

Mit dieser Hoffnung wird die Regierung genauso auf die Nase fallen wie schon bei ihrer letzten Steuerreform. Wir sind international sehr stark verflochten. Deshalb muss der deutsche Gesetzgeber Steuergesetze so machen, dass die internationalen Kapitalinvestoren aus ihrem eigenen Interesse heraus das tun, was der Staat für sinnvoll hält: Arbeitsplätze erhalten und Investitionen in Deutschland fördern. Bessere Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen würden das viel eher leisten als niedrigere nominale Steuersätze.