Polizei wegen Fall Pretzien in der Kritik

Schon vor der Bücherverbrennung fielen Pretziener „Jungs“ mit Naziparolen auf – angeblich schaute die Polizei nur zu

BERLIN taz ■ Die Sicherheitsbehörden in Magdeburg wussten schon vor der Bücherverbrennung in Pretzien von dem rechtsextremen Treiben der Neonazis aus dem Ort. Laut einem Bericht der Magdeburger Volksstimme hatten etwa zehn junge Männer in T-Shirts mit der Aufschrift „Wehrmacht Pretzien“ bereits zu Himmelfahrt in einem Nachbarort rechtsradikale Parolen gebrüllt – im Beisein der Polizei.

In eben dieser Kluft waren auch Mitglieder des Pretziener „Heimatbunds Ostelbien“ aufgetreten, die bei einer Sonnenwendfeier das Tagebuch der Anne Frank und die US-Flagge verbrannten.

Der nun bekannt gewordene Vorfall ereignete sich auf einem Campingplatz in Plötzky. „Ein Albtraum“, erinnert sich Campingplatzbetreiber Wolfgang Schulle. Er bestätigte gestern der taz, die jungen Männer aus Pretzien hätten während eines Himmelfahrtsfests auf seinem Gelände über Stunden Parolen wie „Sieg Heil!“, „Heil Hitler!“ oder „Juden raus!“ gebrüllt. Die herbeigerufene Polizei habe die Szenen beobachtet, ohne einzuschreiten. „Ich habe immer gefragt: Hören Sie nicht, was die rufen? Warum nehmen Sie die nicht mit? Aber nichts passierte“, zitiert die Volksstimme Schulles Ehefrau.

Er selbst urteilte gestern, die Beamten seien wohl „um Deeskalation bemüht“ gewesen und hätten die verbalen Ausschreitungen daher in Kauf genommen. Ein Sprecher des Innenministeriums Sachsen-Anhalt sicherte auf Anfrage zu, sein Haus gehe den Vorwürfen nach: „Bei uns sollen rechtsradikale Vorfälle nicht unter den Tisch gekehrt werden.“

Schulles Aussagen stünden im Widerspruch zum Polizeibericht der örtlichen Dienststelle. Nach Darstellung der Magdeburger Polizei wurden die Beamten wegen einer Sachbeschädigung auf den Campingplatz gerufen. Im Verlauf des Einsatzes sei ein Mann im „Wehrmacht Pretzien“-Outfit wegen eines Hitler-Grußes festgenommen worden. Weitere rechtsradikale Äußerungen seien im Einsatzbericht nicht vermerkt. Seit der Bücherverbrennung ist umstritten, in welchem Umfang den örtlichen Verantwortlichen die rechtsextremen Umtriebe von Mitgliedern des „Heimatbunds Ostelbien“ bekannt sein mussten. Der Verein war aus einer Skinhead-Kameradschaft hervorgegangen. Bei vielen Bürgern im Ort genoss er aber zuletzt den Ruf einer engagierten Vorzeigegruppe.

Auf die Frage, welches Bild er von der Clique hatte, sagt Campingplatz-Betreiber Schulle: „Für mich standen die für Randale.“ Der Vorfall zu Himmelfahrt sei weder ein Erstfall noch eine Überraschung gewesen. „Die sind mir schon seit Jahren so zu Gesicht gekommen“, sagt Schulle: „Das war selbstverständlich bekannt.“ ASTRID GEISSLER