Signal gegen das Ressentiment

Raus aus den Feuilletons! Zum ersten Mal wird beim „Integrationsgipfel“ nicht nur über, sondern mit Einwanderern über das Thema geredet. Allein das ist schon ein Fortschritt

SPD und Grüne haben sich vor Jahren aus der Integrationsdebatte verabschiedet: aus Ignoranz und Angst Die CDU hat in Sachen Integrationspolitik die Initiative übernommen. Das gibt Anlass zur Hoffnung

Das Treffen ist eine Sensation. Am 14. Juli laden Bundeskanzlerin Angela Merkel und Maria Böhmer, die Staatsministerin für Integration, zu einem Integrationsgipfel in das Kanzleramt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wird dann auf höchster politischer Ebene nicht über, sondern auch mit Einwanderern über eines der wichtigsten Themen des Jahrzehnts gesprochen. Die Gastgeberinnen signalisieren mit diesem Sommergipfel nicht zuletzt, dass sich die CDU von ihrer Doktrin verabschiedet, Deutschland sei kein Einwanderungsland.

Natürlich kann man dieses Treffen auch ganz anders bewerten. Eine „reine Show-Veranstaltung und Farce“ sei das Treffen, kritisiert zum Beispiel Faruk Sen, Leiter des Zentrums für Türkeistudien. Und Klaus Buschkowsky, SPD-Bürgermeister und Selbstdarsteller aus Berlin-Neukölln, erwartet „allenfalls bekannte Verbandsrhetorik, die üblichen Schuldzuweisungen und Sonntagsreden“. Nichts wäre dümmer, als sich dieser eitlen Klage anzuschließen. Das kleinliche Gezänk der letzten Tage um die Gästeliste verstellt den Blick für das Wesentliche: Der Integrationsgipfel ist ein Signal und es kommt zur rechten Zeit.

Seit mehr als einem Jahr ist die Integrationsdebatte außer Kontrolle geraten. Im Wochentakt wurden vor der Fußball-WM in den Feuilletons überhitzte und kulturalistisch abgedrehte Debatten zu Stichworten wie Ehrenmorde, Rütli-Schule, Zwangsheirat, Deutschpflicht auf dem Schulhof, Karikaturenstreit, Muslimtest, Parallelgesellschaften und gewalttätiger Islam geführt. Teile der bürgerlichen Mitte rückten zumindest bei diesem Thema weit nach rechts. Ihre Argumentationsmuster und Stereotypisierungen waren in der Vergangenheit nur den Schreibern der Jungen Freiheit oder der Deutschen Stimme vorbehalten gewesen.

Die Kakofonie emotionalisierter und von Sachkenntnis ungetrübter Reden zeigt Wirkung. Nach übereinstimmenden Erkenntnissen des Allensbach-Instituts und des Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung in Bielefeld ist die feindliche Einstellung gegenüber der muslimischen Minderheit im Land in den letzten Monaten sprunghaft angestiegen. Für die nüchtern analysierenden Soziologen ist es nur eine Frage der Zeit, wann die Radikalität des Feuilletons in die Radikalität der Straße mutiert.

Es zeugt von der Besonnenheit von Kanzlerin Merkel und Staatsministerin Böhmer, in dieser Situation strukturierend in den gesellschaftlichen Streit einzugreifen. Bei dem Treffen am Freitag stehen alle wichtigen Punkte der Integrationsdebatte auf der Tagesordnung: Innen-, Rechts- und Bildungspolitik, städtebauliche Entwicklung, Sprachförderung, berufliche Bildung, Jugendförderung, Frauen- und Menschenrechte. Mehr als zu einem ersten Gedankenaustausch werden die geladenen Experten bei ihrer vierstündigen Sitzung im Kanzleramt nicht kommen. Aber sollte dieser Gipfel in einigen Monaten in einen nationalen Integrationsplan münden, könnte dies ein Sieg der Politik über das Ressentiment sein.

Es wäre zu wünschen, dass die zarten Bemühungen des Kanzleramtes nicht kleinkariertem Lagerdenken geopfert werden. Wenn die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, in der taz erklärt, der Integrationsgipfel sei sogar schädlich, möchte man ihr antworten: Ein wenig Bescheidenheit täte gut. Denn schließlich haben die Grünen wesentlich zur migrationspolitischen Eiszeit der Jahre 2003 bis 2006 beigetragen. Nach der verdienstvollen Reform des Staatsbürgerrechts und dem Gewürge um ein Zuwanderungsgesetz verabschiedeten sich die Grünen im Herbst 2002 auf Nimmerwiedersehen aus der Migrations- und Integrationsdebatte. Sie galt der Partei als Verliererthema. In einem Akt beispielloser Ignoranz entwertete Rot-Grün das Amt der Beauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration. Von Herbst 2002 an war Marieluise Beck nur noch im Nebenjob Ausländerbeauftragte, im Hauptjob parlamentarische Staatssekretärin im Familienministerium. Die Integrationsbeauftragte durfte nicht einmal mehr an den Verhandlungen zum Einwanderungsgesetz teilnehmen: Deutlicher konnte Rot-Grün das Desinteresse am Thema Migration und Integration nicht formulieren.

Die Preisgabe der Integrations- und Migrationspolitik durch die Grünen zeigte weitreichende Folgen, zumal für die SPD die Integrationspolitik seit Jahrzehnten nur eine Nebenrolle spielt. Spätestens seit Herbst 2004 wurde das migrationspolitische Vakuum durch konservative Leitartikler gefüllt. Sie übernahmen das Deutungsmonopol – mit den bekannten Folgen.

In dieser Konstellation stimmen allein Initiativen der CDU optimistisch – trotz aller ausländerpolitischen Hardliner in ihren Reihen. Es war Kanzlerin Merkel, die die Fehler von Rot-Grün korrigierte und das Amt der Integrationsbeauftragten mit neuen Kompetenzen und neuer Würde versehen hat. Anders als Marieluise Beck wird Maria Böhm von ihrer Partei nicht als Paria behandelt. Sie ist im Kanzleramt angesiedelt und nicht mehr „Beauftragte“, sondern Staatsministerin.

Überraschen kann das nur, wer die CDU/CSU lediglich als tendenziell ausländerfeindliche Partei wahrnimmt. Das war sie in der Vergangenheit auch, aber nicht nur. Anders als die Sozialdemokraten haben sich CDU-Politiker immer wieder mit viel Energie und Leidenschaft am Thema Ausländer abgearbeitet; häufig in der Negation. Gleichzeitig hat die Partei nicht nur wichtige Befürworter der multikulturellen Gesellschaft wie Heiner Geißler und Barbara John hervorgebracht, sondern auch Kaliber wie den bayerischen Innenminister Günther Beckstein. Man muss Becksteins politische Schlussfolgerungen nicht teilen, mitunter sind sie zu bekämpfen. Trotz alledem ist er der Politiker in Deutschland, der sich am intensivsten mit dem Thema Islamismus und Islam beschäftigte und mit über die größte Kompetenz verfügt.

Es ist auch das unionsregierte Nordrhein-Westfalen, das als erstes Bundesland ein eigenes Integrationsministerium eingerichtet hat. Ein Ministerium, das die Integrationspolitik als Querschnittsaufgabe koordiniert und steuert. Doch damit nicht genug: Dem Integrationsgipfel wird im September eine Islamkonferenz folgen. Diese soll im Bonner Haus der Geschichte tagen und aus etwa 30 ständigen Teilnehmenden bestehen. Laut Innenminister Schäuble werden dazu Vertreter des Islamrats, des Zentralrats der Muslime, von DITIB, der Gemeinde der Aleviten und selbst Vertreter der umstrittenen Milli Görüs eingeladen. Ziel ist ein „Gesellschaftsvertrag“, der Vereinbarungen über zentrale Punkte des Zusammenlebens enthalten soll.

Auch dies ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik, zu dem Rot-Grün weder den Mut noch das Interesse aufgebracht hatte. Es liegt nun an der viel beschworenen Zivilgesellschaft, den von der Union eingeleiteten Prozess durch produktive Debatten und Anstöße in einen migrationspolitischen Frühling münden zu lassen. EBERHARD SEIDEL