„Dorf-Nazis drängen in die Städte“

Die Neonazi-Szene Ostwestfalens wird aus dem Ruhrgebiet unterstützt. Rechtsradikale Übergriffe nehmen zu

taz: Herr Bengt, „Freie Kameradschaften“ rufen zu einem „Großkampftag in Ostwestfalen“ auf. Hat es Vergleichbares schon einmal gegeben?

Michael Bengt: Im Osten hat die Struktur der „Freien Kameradschaften“, also der militanten Neonazis, erste Erfahrungen mit solchen mehrfachen Aufmärschen gesammelt. Für die Region ist das absolut neu.

Hat sich die Szene verändert?

In einigen Regionen ist die rechte Szene gewachsen und hat sich verfestigt, so in Gütersloh, wo sich zumindest ein kleiner Kameradenkreis gegründet hat. Teilweise kam es in letzter Zeit auch zu Übergriffen in OWL, was wir ebenfalls als Zeichen einer wachsenden rechten Präsenz werten. Gerade in Schaumburg, das zu Niedersachsen gehört, ist sie sehr gewalttätig und kann auf erfahrene Kader zurückgreifen. In Bielefeld ist die Szene eher geschrumpft, was nicht zuletzt an der antifaschistischen Gegenwehr liegt.

Was sind die Merkmale?

In ländlichen Gebieten konnten sich rechte Strukturen oder Cliquen etablieren. Diese versuchen jetzt in die Städte zu drängen. Diese Dorf-Nazis werden unterstützt, wenn nicht gar angeleitet, von Nazis aus dem Ruhrgebiet, wo die Situation ganz anders als in Ostwestfalen aussieht. Man kann sagen, dass in Ostwestfalen „von außen“ versucht werden soll, in den Städten wieder Schwung für eine rechte Organisierung zu bringen.

Welche Rolle spielt die NPD?

In OWL gibt es traditionell enge Verbindungen und teilweise personelle Überschneidungen zwischen der Kameradschaftsszene und der NPD.

Das Demo-Motto „Gegen Sozialabbau und Rentenklau“ ist eher ein Motto der Arbeiterbewegung, seit wann bedienen sich die Rechten der klassisch linken Themen?

Das Adaptieren linker Inhalte, welche teils deutsch-national gewendet werden, ist nicht neu; das gab es schon im deutschen Faschismus. Im Neonazismus ist es seit vier, fünf Jahren zu beobachten. Angefangen hat es auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, wo mit diesen sozial–demagogischen Thesen eine bestimmte Schicht potenzieller Sympathisanten angesprochen wurde

Können die Rechten mit Widerstand rechnen?

Bei den Aufmärschen in Bielefeld 2002 kamen bis zu 10.000 Menschen. Im März in Gütersloh waren es etwa 3.000 Menschen, die den Nazis zeigten, dass sie unerwünscht sind. In Gütersloh gaben die Nazis nach zwei Blockaden und langem Rumstehen ziemlich entnervt auf und trollten sich nach Hause. Wir sind uns sicher, dass sich auch dieses Mal viele Menschen an unterschiedlichen Aktionen beteiligen werden um den Naziaufmarsch zu be- oder bestenfalls zu verhindern.

INTERVIEW: HOLGER PAULER