Datenschatz für Sozialforscher

Seit über einem Jahrzehnt werden vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung umfangreiche Daten über deutsche Haushalte zusammengetragen. Auf der SOEP-Nutzerkonferenz in Berlin wurden jetzt die Auswertungen vorgestellt

Man kann in die SOAP-Studie hineinheiraten und hineingeboren werden

VON BARBARA KERNECK

Werden Kinder von Arbeitslosen rechtsradikal? Sterben Singles früher? Macht Geld glücklich? Zumindest für Deutschland lassen sich diese Fragen allmählich beantworten, dank der Langzeiterhebung sozioökonomischer Daten in der SOEP-Studie. SOEP bedeutet: Socio Economic Panel. In Berlin trafen sich jetzt rund 90 Ökonomen, Soziologen und Psychologen aus aller Welt unter dem Dach des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) auf der 7. SOEP-Nutzerkonferenz, um ihre Auswertungen der umfangreichen SOEP-Daten vorzustellen.

Seit 1984 werden im Rahmen der SOEP-Studie Haushalte in den alten, seit 1990 auch in den neuen Bundesländern über ihre Situation befragt, seit 1994 Immigrantenhaushalte. SOEP betrachtet nicht die Person als soziale Grundeinheit, sondern ihren „Haushalt“. Als solcher gelten alle Formen des in Deutschland üblichen Zusammen- oder Nichtzusammenlebens. Bemerkenswert ist die Treue der SOEP-Befragten. Von 5.921 Haushalten, mit denen es 1984 begann, sind 3.635 immer noch dabei. Man kann in die SOAP-Studie hineinheiraten und hineingeboren werden. Die ersten SOAP-Säuglinge bekommen jetzt eigene Kinder.

Der Clou des SOEP-Programms besteht darin, dass die Daten gegen eine geringe Gebühr weltweit jeder Wissenschaftler verwenden darf, um darauf eigene Theorien zu gründen. Als würde eine große Kiste mit deutschen Lebensmitteln an Interessenten in alle Welt verschickt, mit der Aufforderung: kocht daraus, was ihr wollt, solange ihr die Zu-Daten nicht verfälscht. Für uns Deutsche bringt das den Vorteil, dass man anderswo vielleicht zu Schlüssen über uns gelangt, auf die wir selber nie verfallen wären. Besonders, wenn Wissenschaftler Umfrageresultate seines Landes mit den SOEP-Daten vergleicht.

Rob Euwals vom niederländischen Centraal Planbureau (CPB) hat zum Beispiel für die Regierung in Den Haag das Abschneiden türkischer Immigranten auf dem Arbeitsmarkt der Niederlande und Deutschlands verglichen. Seine Studie ist noch nicht veröffentlicht, weshalb er noch keine Zahlen nennen will. Aber er ist sich sicher, dass vor allem niedrig qualifizierte türkische Männer in Deutschland zu einem höheren Prozentsatz in Lohn und Brot stehen. Eine der Ursachen vermutet er in einer „deaktivierenden“ Wohlfahrtspolitik früherer niederländischer Regierungen. Bis vor wenigen Jahren seien islamische Schulen, mit einem Teil des Unterrichts in der Muttersprache, ebenso wie katholische und protestantische Schulen vom Staat finanziert worden. Behördendokumente wurden auf Türkisch verteilt, und auch Sozialhilfeempfänger seien gegen Berufsunfähigkeit versichert gewesen.

Die ökonomischen Perspektiven der Einwanderer sind nicht nur für sie selbst überlebenswichtig, sondern auch für unsere Gesellschaft. Stefanie Schurer und Michael Fertig vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung Essen haben die nach Deutschland Eingewanderten in vier Gruppen eingeteilt. Von der ersten, die zwischen 1955 und 1968 aus den südeuropäischen „Gastarbeiterländern“ eintraf, bis zur letzten von 1988 bis 2002. Dazu betrachteten sie als fünfte Gruppe die 1988 bis 2002 aus der UdSSR und mehreren osteuropäischen Ländern eingebürgerten Spätaussiedler. Die Ökonomen verglichen unter anderem deren Arbeitslosenrate und Einkommenshöhe mit den Daten vergleichbar ausgebildeter Deutscher.

Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass alle Wellen von Einwanderern auf dem deutschen Arbeitsmarkt überraschend gut abschnitten. Im Durchschnitt brauchten sie sieben bis acht Jahre, um gleich gut ausgebildete Deutsche einzuholen und ein gleiches Einkommen zu erzielen. Dies gilt auch für die nach 1988 Eingetroffenen. Allerdings nur, falls sie überhaupt einen Job gefunden haben, denn die wachsende Arbeitslosigkeit hat sie nun doch stärker getroffen als vergleichbar qualifizierte Deutsche. Trotzdem zieht Stefanie Schurer den Schluss, dass weder Mentalitätsunterschiede noch Diskriminierung die Mitbürger ausländischer Herkunft bei uns auf Dauer am beruflichen Erfolg hindern. „Für ihre beruflichen Integration würde es praktisch genügen“, sagt sie, „wenn wir ihnen eine bessere Bildung garantierten.“

Damit hapert es aber bekanntlich auch beim deutschen Nachwuchs. Regina Riphahn, Professorin in Erlangen, hat Bildungschancen für die Geburtsjahrgänge von 1949 bis heute untersucht. Auch sie ist noch nicht so weit, dass sie ihre Zahlen veröffentlichen wollte. Aber eines steht für sie schon fest: „Die Chancen, Abitur zu machen, sind für ein Kind vom Lande oder ein Kind, dessen Eltern selbst nicht das Gymnasium besuchten, im ganzen Zeitraum um keinen Deut gewachsen.“

Die SOEP-Studie wandelt sich mit den Interessen ihrer Nutzer. Deshalb werden in jüngster Zeit neben der sozioökonomischen Situation zunehmend auch subjektive Befindlichkeiten und Charaktermerkmale erfasst. Sogar die „kognitive Kompetenz“ der Befragten wurde getestet, das heißt, ihre Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge zu verstehen, aus Erfahrungen zu lernen und Probleme durch Nachdenken zu lösen. Erhöht oder vermindert sie unsere Chancen auf beruflichen Erfolg in diesem Leben? Silke Anger (DIW) und Guido Heineck (Universität Erlangen) haben die kognitive Kompetenz von 1.000 SOEP-Getesteten in Beziehung zur Höhe ihres Einkommens gestellt. Sie kamen zu dem Resultat – dass beides in keinerlei Beziehung zueinander steht. Da lacht Diogenes in seiner Tonne.