Die Mamas und der Papa

Familie geht mittlerweile auch ohne Patriarch: Zwei lesbische Frauen, ein schwuler Vater, ein Kind. Fertig

VON JUDITH LUIG

Die Zeugung ihres Kindes hatten sich Bianca H. und Ruth T. eigentlich anders vorgestellt. Kerzenschein, Romantik, vielleicht ein bisschen Musik im Hintergrund. Aber viel Muße für den erotischen Spannungsbogen ist ihnen nicht geblieben, als Martin gegangen war. Genau zehn Minuten hat man, bis die Luft alles zerstört, so steht es im „Ultimate Guide to Lesbian Parenthood.“

Unter Ruth T.s schwarzem T-Shirt mit der Aufschrift FIFA WM 2006 wölbt es sich merklich. In fünf Wochen soll ihre Tochter geboren werden. Oder besser in sechs, denn die 42-Jährige muss vorher noch die Steuererklärung machen. Wenn das Mädchen auf die Welt kommt, dann wird es Eltern haben, wie die meisten Kinder. Nur werden seine Eltern zwei Mamas sein. Und dann wird es auch noch einen Papa haben. Und einen großen Bruder. Und einen zweiten großen Bruder, der der Freund des Papas ist. Ruth T. lacht: „In Afrika sagt man: Man braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen.“

Bianca H. und Ruth T. waren schon fast zehn Jahr lang ein Paar, da wollte Ruth auf einmal ein Kind. Eines, das sie selbst zur Welt bringt. Beruflich beschäftigt sich die Dozentin für Englisch eigentlich mit Kultur, aber plötzlich kam ihr die Biologie dazwischen. Mit Ende dreißig wird das Kinderkriegen schwieriger. „Wenn ich jetzt nicht schwanger werde, dachte ich, dann werde ich das nie im Leben nachholen können.“

Allerdings braucht ein Kind auch einen Vater. Vielleicht nicht gesellschaftlich, gesetzlich schon gar nicht, aber biologisch. „Für uns war von Anfang an klar, dass es nicht nur ein Erzeuger sein soll, sondern auch ein Papa“, erklärt Bianca H. entschieden. „ Wir wollten nicht über Suchanzeigen in den Schwulen- und Lesbenmagazinen nach einem anonymen Samenspender suchen.“

Die Biologie ist H. egal, die Kultur aber nicht. „Die Norm ist eben immer noch, dass ein Kind einen Papa hat. Das ist in jeder Kita und jeder Schule so, und das ist auch in jedem Kinderbuch so.“ Ein heterosexueller Freund schien zunächst einige wichtige Kriterien als Papa zu erfüllen. Doch was, wenn der eine Frau heiratete und das Paar das Kind zu fünfzig Prozent wollte? Hätten Unverpartnerte gegen Verheiratete eine Chance?

Also besser ein schwuler Mann“, sagt Ruth T.. Ein gemeinsamer Bekannter vermittelte Martin. Ein Physiker, der viel mit seinem Beruf zu tun hat, der rational genug ist, um nicht auf einmal in hormonelle Schwankungen zu verfallen und das Kind für sich zu wollen. Es musste von Anfang an klar sein, dass er nur zu zwanzig Prozent Vater sein würde. Einer, der das Kind regelmäßig sieht und bei dem es auch mal am Wochenende bleibt. „Eigentlich war ein Kind gar nicht mein erklärtes Lebensziel“, umschreibt es Martin Schell nüchtern, „aber als ich von den beiden hörte, konnte ich mir sehr gut vorstellen, Vater zu werden.“ Ähnlich wie bei einer arrangierten Hochzeit begannen die Verhandlungen um die „arrangierte Familie“. Man traf sich, ging gemeinsam essen, mal einen trinken und redete über alles Mögliche, nur nicht über das, was alle drei am meisten bewegte. „Ich war von Anfang an für Martin“, sagt Bianca H. und schaut zu ihrer Freundin rüber. Die lacht. „Kurz bevor ich mich entschlossen habe, hat mich auf einmal die Panik ergriffen“, gibt Ruth T. zu. „Der passt doch gar nicht, dachte ich, ich wollte doch einen Schauspieler, was Kreatives, damit das Kind nicht so rational wird.“ Nach zwei Jahren vorsichtiger Treffen bohrte eine Freundin nach, was eigentlich die Familienplanung mache. „Ich frage ihn beim nächsten Mal“, wich T. aus. „Das sagst du seit einem halben Jahr“, entgegnete die Freundin. Daraufhin setzte sich T. an den Computer und schrieb eine E-Mail. „Wir würden gerne ein Kind mit dir haben.“ Drei Monate Anbahnung später wurde Ben gezeugt, und jetzt ist seine Mummy schon mit dem zweiten Kind von Martin schwanger.

Familie, so definiert der Duden, ist die Gemeinschaft der in einem gesetzlichen Eheverhältnis lebenden Eltern und ihrer Kinder. Weder Duden noch Gesetz scheinen da ganz auf der Höhe der Zeit. Das Sorgerecht für Ben teilen sich Ruth und Martin. Für Bianca H. gab es nach der Rechtslage zur Zeit der Geburt nur das „kleine Sorgerecht“. „Damit hätte sie ihren Sohn legal zur Kita bringen dürfen“, kommentiert T.. Wenn sie sich jetzt verpartnern würden, könnte Bianca H. Ben adoptieren. Dann aber wiederum wäre Martin Schell aus dem Spiel. „Außerdem werden wir uns nicht verpartnern, solange wir dann nicht dieselben Rechte haben wie Verheiratete“, erklärt H..

Da sie das Kind nicht auf die Welt brachte, konnte die 35-Jährige auch keine der gesetzlichen Vorschriften für junge Mütter in Anspruch nehmen; ihr blieben nur die Abende mit dem Kind. „Als er ganz klein war, war das besonders schlimm.“ Sogar für die ersten zwei Wochen nach der Geburt war sie auf das Entgegenkommen der TV-Produktion angewiesen, bei der sie arbeitet. „Ich war der erste Mensch in der Firma, der Vaterschaftsurlaub beantragt hat“, erzählt sie stolz. Doch ein Jahr Elternzeit wird wohl nicht drin sein.

Der zweieinhalbjährige Ben, der eine Weile friedlich mit seiner Eisenbahn Kreise zog, kriecht jetzt ein bisschen knatschig auf den Schoß seiner Mama. Als Ben gemerkt hat, dass die anderen Kinder nicht normal waren, war er zunächst sehr bestürzt, erzählt die. „Where is her mummy?“, fragte er seine schottische Mutter, als ihm Mama und Papa von Marlene vorgestellt wurden. Inzwischen hat er sich daran gewöhnt. Trifft Ben andere Kinder mit Doppelmutter, dann freut er sich für sie. „That’s lucky.“ „Irgendwann wird er sicher mal gegen uns rebellieren, aber das tun ja alle Kinder“, sagt Ruth T..

Wenn Ben in einem Kinderbuch einen Vater sieht, dann erkennt er darin ganz klar „Mummy“, seine Mutter mit den kurzen Haaren, so wie der Mann auf dem Bild. Und die Frau trägt einen Zopf oder das Haar offen, so wie seine langhaarige Mutter, und deswegen ist sie die „Mama“. „Die Bezeichnung haben wir ihm beigebracht“, erklärt Bianca. Ruth spricht Englisch, deswegen ist sie Mummy. Bianca spricht Deutsch, deswegen ist sie Mama. In Berlin, wo die drei plus zwei leben, stört man sich im Allgemeinen nicht an unorthodoxen Familienmodellen. Auf Besuchen in der heimatlichen Kleinstadt aber gucken die Nachbarn manchmal streng von Bianca H.s ebenmäßigem Gesicht, das etwas von einer Mariendarstellung hat, auf Bens runde Kinderwangen und sagen skeptisch: „So richtig wie ein H. sieht er nicht aus.“ Allerdings vermuten sie den Skandal eher in der Unehelichkeit des Kindes.

In Schottland hat das Enkelkind die familiären Beziehungen sehr verstärkt. „Ich habe das Gefühl, meine Mutter kann jetzt irgendwie mehr mit mir anfangen“, erzählt Ruth T.. Und Martin Schells Vater? „Der hat sich gefreut wie ein Schneekönig“, sagt der Papa. „Er hatte das Thema Enkelkinder schon abgeschrieben.“

„Wir sind die normalste Familie, die ich kenne“, sagt Ruth T.. Als Ben geboren wurde, dachte sie, dass es für seine Entwicklung wichtig wäre, wenn er mehr mit anderen Lesbenpaaren mit Kindern zusammen wäre. Damit er sich nicht anders fühlt. „Heute glaube ich eher, dass ich seine Zweisprachigkeit durch Kontakt mit anderen englischen Kindern unterstützen möchte.“

Was die Aufteilung von Geschlechterrollen angeht, scheint die Familie T.-H. äußerst gleichberechtigt. „Wir müssen ja keine Klischees erfüllen“, sagt Ruth T.. Wenn aber etwas im Haushalt kaputt ist, dann sagt Ben trotzdem gerne mal: „Papa kann das reparieren.“ – „Ich kann das aber auch“, sagt Ruth. Und auch wenn Bianca H. länger arbeitet und mehr Geld verdient, ist sie deswegen nicht die abwesende Vaterfigur, wie es historisch und oft noch aktuell in so vielen Beziehungen der Fall ist. „Da ich ja nicht tagsüber mit Ben zusammen sein konnte, hat Ruth an Abenden und Wochenenden von Anfang an viel Platz für mich gemacht“, erzählt Bianca H..

Ich glaube, es ist die Mutter, die einen Vater zum Vater macht.“ Frauen stürzten sich oft zu sehr auf das Kind. „So als ob kein anderer eine Ahnung davon hätte, was ein Kind braucht.“ Vielen Männern bleibe da nur noch die klassisch abwesende Vaterrolle. „Wir haben vielleicht einfach mehr auf gerechte Verteilung geachtet als heterosexuelle Paare. Weil wir wussten, dass es Probleme geben könnte.“

Bianca H. hat ihre Magisterarbeit über die Darstellung von Mütterlichkeit im zeitgenössischen amerikanischen Roman geschrieben. „Das Wort ‚Mutterinstinkt‘ habe ich immer so gehasst“, stöhnt sie. „Jetzt kann ich aber viel besser verstehen, was damit gemeint ist. Mit Schwangerschaft oder Kinderkriegen hat es allerdings nicht viel zu tun.“ Auch bei der Erziehung ihrer Kinder achten die beiden darauf, dass es keine Sachen nur für Jungs oder nur für Mädchen gibt. Und das ist vielleicht der einzige Nachteil eines Kinds von zwei lesbischen Frauen. „Ben steht total auf Pink“, erzählt Ruth T.. In der Kinderabteilung kramt er mit Vorliebe rosa Bauschröcke hervor. Aber die erlauben ihm seine Mütter nicht. „Dann sagen die Leute: Oh Gott, die beiden wollen ja unbedingt, dass ihr Sohn schwul wird.“ Allerdings wird schriller Girlie-Style später auch für Bens kleine Schwester tabu sein.

Im Großen und Ganzen sind Bianca H. und Ruth T. sehr glücklich über die Reaktionen der Leute. Viele Menschen, die sonst gar keinen Kontakt mit Schwulen oder Lesben haben, fragen sie ganz neugierig, wer denn die leibliche Mutter ist und wie man das denn alles so geschafft habe. Damit hat die Familie auch ein bisschen Vorbildfunktion in Sachen Aufklärung über Geschlechterverhältnisse.

JUDITH LUIG, 31, ist Redakteurin im taz.mag