Von den Socken

Weil der Radrennstall T-Mobile offensichtlich mit dem Krisenmanagement im Fall Jan Ullrich überfordert ist, greifen der Bonner Mutterkonzern und dessen Abgesandter Christian Frommert ein

AUS AIX EN PROVENCESEBASTIAN MOLL

Vor gut einem Jahr übernahm Christian Frommert von Olaf Ludwig die Aufgabe der Stimme fürs Radteam T-Mobile; und wenn man die beiden Männer zusammen erlebt, dann versteht man sofort, was der Konzern mit diesem Personalwechsel bezwecken wollte. Beispielsweise wenn man sie in den vergangenen Tagen über die Causa Jan Ullrich hat reden hören.

Olaf Ludwig, der 2005 vom Pressesprecher zum Teamleiter aufstieg, wirkt in den letzten Wochen sichtlich gealtert. Die Ringe unter den Augen des ehemaligen Radprofis sind noch ein wenig dunkler geworden. „Das ist alles ein unheimlicher Schlauch“, sagt er mit gedrückter Stimme.

Frommert, der professionelle PR-Mann des Bonner Konzerns hingegen, sprudelt vor Energie. Er redet er am Telefon, vor Kameras und Reportern, um die neue Strategie des Unternehmens umzusetzen. Transparent sei man jetzt, gehe „offensiv“ mit Dingen um, begreife die Krise als Chance. Der Profi-Vermarkter ist in seinem Element. Beispielsweise am vergangenen Freitag.

Die SZ hatte am Freitag neue Dokumente veröffentlicht, in denen Ullrich bereits vor und während der Tour de France 2005 Doping nachgewiesen wurde. Ludwig war sichtbar schockiert. „Das haut mich von den Socken“, sagte er. Wie der Rennfahrer unter seiner Nase heimlich mit Dingen wie Testosteron, Eigenblut und Insulin hantiert haben soll, sagte Ludwig, sei für ihn schlicht nicht vorstellbar.

Frommert hingegen, der laut eigenen Angaben in seiner kurzen Amtszeit zum engen Vertrauten Ullrichs geworden ist, wusste „Berufliches von Privatem zu trennen“. Privat sei er zwar enttäuscht von Ullrich, sagt Frommert, wisse aber auch, dass „Ullrich nun vor allem Freunde brauche“. Beruflich gäbe es nur dies zu sagen: Die Anwälte prüfen weiterhin die Modalitäten einer Vertragsauflösung mit Ullrich. Bis vergangenen Donnerstag hatte Ullrich die Möglichkeit, sich zu den Dopingvorwürfen zu äußern. Jetzt, da die Frist verstrichen ist, würde im Prozess der geschäftlichen Trennung die nächste Phase beginnen.

Ludwig scheint es hingegen mit der Auflösung der Geschäftsbeziehungen nicht so eilig zu haben. In der vergangenen Woche noch gab er bekannt, dass er Ullrichs Gehalt weiter zahlt. Ullrich hat bis Jahresende einen Werksvertrag mit Ludwigs Firma, der Betreibergesellschaft der Radsportmannschaft. Auf den Fortgang der Vertragsauflösung angesprochen, wiederholt Ludwig immer wieder, dass er kein Jurist sei und sich mit solchen Dingen nicht auskenne.

Vielleicht verspürt Ludwig nur deshalb keine große Dringlichkeit, weil es zwischen ihm und Ullrich nur noch um ein paar Monatsgehälter geht. Zwischen dem Konzern T-Mobile und Ullrich geht es hingegen um einen mehrjährigen Beratervertrag im Anschluss an Ullrichs Laufbahn. Vielleicht möchte sich Ludwig aber auch aus diesen Dingen heraushalten und sich auf seinen Job konzentrieren – mit der Restmannschaft unter dem neuen Kapitän Klöden bei der Rest-Tour so gut wie möglich auszusehen, sie vielleicht sogar zu gewinnen. Ein Ziel, das Ludwig auch nach den Pyrenäen noch nicht aufgegeben hat.

Dass Ludwig sich weitgehend darauf konzentriert, seine Fahrer fit zu machen, ist gewiss vom Konzern gewünscht. Ohnehin ist die Einmischung des Konzerns in die Belange der Mannschaft in den vergangenen Jahren stetig gewachsen – die Einsetzung Frommerts als Stimme des Konzernradsports war nur Teil eines größer angelegten Konzepts. Der Teamgründer Walter Godefroot nahm damals noch das Geld von Telekom und lieferte dafür Leistung ab. Spätestens nach der ersten Ullrich-Affäre 2003 mischte sich T-Mobile jedoch zunehmend ein. Wie bei den spanischen Behörden reifte in Bonn wohl die Erkenntnis, dass man den Sport nicht sich selbst überlassen kann. Heute spricht man bei T-Mobile von „Ownership“ und den fantastischen Marketingmöglichkeiten, die man hat.

Olaf Ludwig kann hingegen die Tatsache, dass er den Athleten näher steht als den Medien oder dem Konzern, nicht immer verbergen. So hätte sich Ludwig vermutlich ein wenig länger vor Ullrich gestellt, als T-Mobile das getan hat. Vermutlich wäre das aus emotionaler Nähe zu seinem Sportler geschehen, wäre aber mit Sicherheit als Mitwisserschaft oder gar Mittäterschaft ausgelegt worden. Beim Sponsor ist man hingegen von alter Radler-Solidarität unbelastet. Und deshalb nimmt Frommert Ludwig das Reden ab. Außer wenn’s um Radrennen geht.