Sortenreine Plastewelten

Wenn schon keine repräsentative DDR-Schau im Palast der Republik: Das neue, privat finanzierte „DDR-Museum“ gegenüber rührt mit sachlich präsentierten Alltagsgegenständen zum Anfassen

VON JOCHEN SCHMIDT

Eigentlich war die DDR ja schon zu Lebzeiten ein Freiluftmuseum der Entschleunigung, in dem Produkte unabhängig von ihrer Gefragtheit weiterlebten und die Infrastruktur vor allem Zeit zum Nachdenken produzierte. Wenn jetzt Unter den Linden im Radisson-Hotel, dort, wo Berlin eher den Touristen gehört, ein „DDR-Museum“ öffnet, macht das skeptisch. Erst recht, wenn man hört, dass es sich um eine private Investition handelt. Sofort denkt man: Kuriositätenkabinett.

Dass es einem dann trotzdem nicht gelingt, das Museum peinlich zu finden, liegt an den Exponaten. Die DDR eignet sich komplett als Fundstück, und neben der reichlich ausgeschlachteten Lächerlich- und Spießigkeit tritt der rührende Aspekt an diesem Land zu Tage. Alles war so hölzern und ungeschickt, wie ein Mädchen, das nicht tanzen kann, und in das man sich gerade deshalb verliebt.

Die Themen der Vitrinen folgen den gängigen Klischees – „FKK“, „Jugendweihe“, „Urlaub in Bulgarien“ –, aber die Anmerkungen klingen erfreulich sachlich und nicht nach „Stasi-Opfer rechnet im Rahmen einer ABM-Maßnahme mit seinem Trauma ab“. Anhand der englischen Übersetzungen kann man Fachwortschatz lernen, der einem ja immer fehlt, wenn man Freunden aus dem Ausland sein Leben erzählt: „Die Jagd nach Mangelware gehörte zum Alltag“ heißt: „Haunting down scarce goods was normal“. Und „Plattenbau“ kann man mit „concrete slab buildings“ oder „large panel constructions“ übersetzen.

Aber wie kann man die Ost-Ästhetik eigentlich begrifflich fassen? Im Ton der Werbe- und Erbauungssprüche hatte sich etwas von den 20er-Jahren erhalten: „Praktisch denken, Plaste schenken.“ Typisch DDR aber auch misslungene Versuche, etwas sprachlich aufzuwerten, zum Beispiel die Gastronomie: Eine ausgestellte Speisekarte bietet den Fleischcocktail „Feuertanz“ an, zu 1,75 Mark.

Ansonsten dominiert, besonders in den Produktnamen, das umständlich Konkrete der Beschreibungssprache: Man steht also wieder vor „Lochverstärkungsringen“ und „Strumpf-Halteklemmen Plasti“. Oder vor BeTropfenfängern vom VEB Plast-Dekor Dresden. Man fragt sich zum ersten Mal: Warum hießen die Nähmaschinen „Veritas“? Hat das mit dem Ariadne-Mythos zu tun? Der die Zunge rausgeschnitten wurde und die die Wahrheit über das an ihr begangene Verbrechen in ihre Stoffe einwebte?

Der Dramaturgie des privaten Wohnens folgend ist der Höhepunkt der Ausstellung die Wohnzimmerschrankwand. Matroschka, Kerze, Fernseher und repräsentative Bücher, „Der geteilte Himmel“ neben Wladimir Popovs „Havarie im Stahlwerk“ – Christa Wolf wird sich freuen. Anders als meistens in der DDR sind die Zimmereinrichtungen allerdings sortenrein (wer hatte schon ein Kinderzimmer mit ausschließlich DDR-Spielzeug? Mit dem hätte doch niemand gespielt.). Ein westlicher Besucher merkt an, dass in der Schrankwand doch immer als Trophäe leere Coca-Cola-Flaschen standen. Auch anders als bei den Ostverwandten früher darf man hier auch alles anfassen. Die Mondo-Kondome sind allerdings sicherheitshalber festgeklebt.

Irgendwann fällt es dann fast schwer, das Wiedersehen nach 16 Jahren im Museum emotional zu verarbeiten: das Konsum-Umsatzwertmarkenheft, das Mäuschen-gib-acht-Spiel, die Curaçao-blue-Flasche. Vieles hat man bei sich ja noch gar nicht ausrangiert, anderes, wie das Mitropa-Geschirr, die Eierbecher in Huhn-Form oder die Plaste-Eisbecher sieht man dauernd in irgendwelchen Szene-Bars nachsitzen. In einer Vitrine liegt ein Hausaufgabenheft, am 11. 4. 77 steht: „Roberts Verhalten hat sich keinesfalls geändert, er nimmt sich Frechheiten heraus, die sich keinesfalls für einen Schüler der 2. Klasse gehören.“ So ein Heft hat man auch noch, und die Kinderschrift sieht wie die eigene aus. Ob Robert noch die Kurve gekriegt hat?

In der Küche der Schnellkochtopf, der sonntags immer vor sich hin zischte. Sofix-Pudding ohne Kochen, der Geschmack des Sonnabendabends. Ein Schrankfach, das genauso riecht wie das Gewürzfach zu Hause, in dem eigenartige, überalterte Substanzen wie „Hermekonta Gurkenschutz – vermindert das Weichwerden und Schimmelbildung“ schon länger museal wirken. Richtig eingestimmt wandert man in die Ecke, die sich der Sexualerziehung widmet: mit „Quick intim – zur intimen Körperpflege junger Menschen“ aus dem VEB Kunstblume Dresden und Buch-Klassikern, wie dem Lexikon „Junge Ehe“, nach dem wir alle immer in der Kinderbibliothek suchten, um sich den Abschnitt über „Positionen“ anzusehen. Darin auch eine Straßenansicht einer westlichen Großstadt, mit dem Kino „Goethehaus“, in dem gerade der Film „Sie liebten wie die Tiere“ läuft. Dazu heißt es im Buch: „Im Kapitalismus gehört die Anpreisung der Pornographie zum Alltag.“ Wohl wahr.

Interessant ist die fast kindliche Begeisterung bei den Ausstellungsbesuchern. Sowohl Ostler als auch Westler erinnern sich anscheinend gern. Einer berichtet, die Ostverwandten hätten ihr Waschmittel aus Prestigegründen immer in alte West-Waschmittel-Tonnen gefüllt. Derweil stellt ein Stasi-Opfer – 82 aus politischer Haft freigekauft – Wildfremde zur Rede: „Sie sind dafür mitverantwortlich, dass diese Diktatur bestanden hat. Im Westen habt ihr ja stillgehalten.“

Für ein richtiges Museum hätte man mehr Platz und einen repräsentativen Ort gebraucht. Im Gästebuch gibt es schon die ersten Diskussionen, ob es nicht eine Farce sei, den Palast abzureißen und gegenüber, wo einmal das Palast-Hotel stand, ein DDR-Museum einzurichten. Ein offizielles und nicht privates Museum, vielleicht gleich eine sozialistische Welt im Republikpalast, hätte sicher internationale Ausstrahlung gewonnen. Jetzt ist es wie früher, wo es in den großen Hotels immer einen Intershop gab mit ausschließlich West-Waren. Stattdessen eben jetzt im West-Hotel ausschließlich Ost-Waren. Die Geschichte reitet auf toten Gäulen ins Ziel.

„DDR-Museum Berlin“, Spreepromenade an der Liebknechtbrücke, Karl-Liebknecht-Str. 1, Montag–Sonntag 10–20 Uhr, Samstag 10–22 Uhr