Kindsmissbrauch endemisch unter Aborigines

In Australien hat ein Bericht über den sexuellen Missbrauch von Kindern unter Aborigines zu einer Debatte geführt, ob dies mit angeblichen kulturellen Traditionen zu rechtfertigen sei oder die Behörden paternalistisch vorgehen sollten

CANBERRA taz ■ Ein Bericht über sexuellen Missbrauch von Kindern unter Aborigines hat in Australien einen Skandal ausgelöst. Die für die Polizei bestimmte vertrauliche Untersuchung war von der Staatsanwältin des Bundesstaats Northern Territory vor einigen Wochen publik gemacht worden. Nanette Rogers veröffentlichte den Bericht aus Frustration über die Untätigkeit der Politiker.

Im Bericht werden Fälle von Vergewaltigungen von Kleinkindern geschildert, darunter die eines sieben Monate alten Babys und einer Zweijährigen. Ein vierjähriges Mädchen sei vom Täter während der Vergewaltigung ertränkt worden. „Als sie im Wasser spielte, drückte er sie nach unten und drang anal in sie ein. Dabei ertrank das Kind.“ Laut Rogers sind „Fälle wie dieser jenseits des normalen Fassungsvermögens“. Im Bericht ist von endemischem Kindsmissbrauch die Rede. Rogers kritisierte, viele Verbrechen blieben nicht nur ungeahndet, sondern würden von den Tätern und Entscheidungsträgern in den Aboriginal-Gemeinden unter Hinweis auf „Traditionen der Männer“ entschuldigt.

Die Aussagen der Juristin lösten einen Sturm der Entrüstung aus. Clare Martin, Ministerpräsidentin des Northern Territory, musste heftig gegen den Vorwurf der Untätigkeit verteidigen: „Wir haben dieses sehr schwierige Problem schon lange erkannt und zur Bekämpfung viele Ressourcen eingesetzt.“ In den „Talkback“-Sendungen der kommerziellen Radiostationen liefen die Telefone heiß. Moderatoren und Hörer attackierten die rund 300.000 australischen Ureinwohner mit offen rassistischen Bemerkungen.

Schnell entwickelte sich die Debatte um mögliche Maßnahmen zu einem politischen Geplänkel zwischen der konservativen Bundesregierung und den sozialdemokratischen Landesregierungen. Der nationale Gesundheitsminister Tony Abbott schlug vor, nicht funktionierende Aboriginal-Gemeinden in Zukunft „paternalistisch“ zu verwalten. Einzelheiten nannte er nicht, aber die Idee tönt sehr nach weißen Administratoren für schwarze Siedlungen. Die mehrheitlich regierungsfreundliche Presse jubelte.

Neu ist das Problem des Kindsmissbrauchs nicht: Experten wiesen schon vor Jahren darauf hin, dass Sex mit Kindern, Vergewaltigungen und brutalste, nicht selten tödlich endende Gewalt gegen Frauen in vielen Aboriginal-Dörfern alltäglich sind. Fachleute sind der Meinung, der Grund liege vor allem beim Alkoholmissbrauch und der sozialen Verwahrlosung ganzer Gemeinden. Nicht selten sind in einer Familie Angehörige von drei Generationen konstant unter Alkohol- und Drogeneinfluss.

In vielen isolierten Regionen Zentralaustraliens sind die Infrastruktur- und Wohneinrichtungen für Aborigines so schlecht, dass Menschenrechtsorganisationen sie mit Zuständen in Entwicklungsländern vergleichen.

Ungesunde Ernährung und schlechte Gesundheitsversorgung tragen dazu bei, dass Aborigines im Schnitt 20 Jahre früher sterben als europäischstämmige Australier. Auch haben die wenigsten Aboriginal-Gemeinden eine Polizeipräsenz. Die Ärztegesellschaft des Northern Territory forderte gar den Einsatz der Armee zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung.

Prominente Aboriginal-Vertreter unterstützen ein hartes Vorgehen. „Die Weißen sollten jegliche Form politischer Korrektheit fallen lassen“, so Warren Mundine, der erste indigene Präsident der Laborpartei. Heftige Kritik aus den Reihen der Ureinwohner gab es gegen das Argument, Sex mit Kindern sei in Aboriginal-Gesellschaften Tradition und müsse deshalb toleriert werden. Oft seien die Täter Männer mit großer Autorität, die ihre Macht ausnutzten, so die Älteste eines Aboriginal-Dorfes in Zentralaustralien. „Sex mit Kindern war nie akzeptabel. Unter traditionellem Recht wäre eine solche Tat sofort mit dem Tod bestraft worden.“ URS WÄLTERLIN