Erfolgsbilanz für Stockholmer Straßenmaut

Nach Einführung der Innenstadtgebühr hat der Verkehr in Schwedens Hauptstadt mehr als erwartet abgenommen. Die Stimmung ist zugunsten der Verkehrslenkung umgeschlagen. Ob sie zur Dauereinrichtung wird, entscheidet das Volk

STOCKHOLM taz ■ 23 Prozent weniger Verkehr in der Innenstadt, 13 Prozent weniger Feinstaubbelastung in der Luft und ein Minus von 14 Prozent bei Kohlenwasserstoffverbindungen wie dem Krebs erregenden Benzen: Die Bilanz nach einem halben Jahr Straßenmaut in Stockholm ist eindeutig – sie wirkt. „Der Effekt ist für jeden sichtbar“, sagt Jonas Eliasson, der die Analysegruppe für die erste Maut-Auswertung geleitet hat. Das hat auch die öffentliche Meinung beeinflusst: 54 Prozent der Befragten halten die Straßengebühr für gut und nur noch 42 Prozent für schlecht.

Bei Einführung der Maut im Januar war dieses Verhältnis mit 44 zu 51 Prozent fast umgekehrt. Damals demonstrierten Vertreter von Automobilklubs an den automatischen Mautstationen gegen die „Zwangssteuer“. Innenstadtgeschäfte befürchteten Umsatzeinbußen. Und die Boulevardpresse verbreitete Tipps, wie man das System überlisten und die ein bis zwei Euro für eine Passage sparen kann. Das ist nun schneller vergessen, als die Maut-ErfinderInnen hoffen konnten. Sie hatten allenfalls mit einem Verkehrsrückgang von 10 bis 15 Prozent gerechnet. Aber nun sind Staus in Stockholm selten geworden. Es gibt sie allenfalls noch vereinzelt zur Rushhour. Und selbst dann können sich PendlerInnen, die nicht aufs Auto verzichten wollen, immer noch über sehr viel kürzere Fahrzeiten freuen. Auch der Handel schätzt als positiven Effekt, dass Kundschaft und Lieferanten besser durch die Innenstadt kommen.

Technisch funktionierte das System von Anfang an reibungslos. Der öffentliche Nahverkehr wurde parallel zur Einführung der Maut ausgebaut und mit 200 neuen Bussen aufgestockt. Und diese können ihre Fahrpläne dank der nun täglich rund 100.000 Pkw weniger in der Innenstadt auch einhalten.

Dass sich nur die Hälfte der Fahrer dieser 100.000 Pkw nun als zusätzliche KundInnen in den Statistiken des öffentlichen Nahverkehrs wiederfinden, erklärt Staffan Algers damit, dass die Maut zu einem insgesamt „rationaleren Fahrverhalten“ geführt habe. „Viele Pendler haben offenbar Fahrgemeinschaften gebildet“, sagt der Professor, der an Stockholms Technischer Universität lehrt. Arbeits- und Einkaufsfahrten würden besser koordiniert. „Und manch einer verzichtet ganz einfach auf Fahrten, die er als unnötig einschätzt.“

Bislang ist die Maut allerdings nur ein Versuch, der am 31. Juli endet. Am 17. September dürfen die 750.000 StockholmerInnen dann nicht nur über das Parlament, sondern auch über die weitere Zukunft der Maut abstimmen. Die PolitikerInnen haben versprochen, sich an ihr Votum zu halten.

Gibt es ein Nein, wird das rund 300 Millionen Euro teure System wieder abgebaut, das die Kennzeichen aller Fahrzeuge bei Einfahrt in die Innenstadtzone registriert. Doch sieht es derzeit eher nach einem Ja aus. „Die Meinung hat sich etwa nach dem gleichen Muster wie in London entwickelt, wo der Widerstand gegen die Maut ebenfalls anfänglich groß war“, hofft Gunnar Söderholm, Chef der Stockholmer Umweltbehörde. Gibt es eine Mehrheit für die Gebühr, sollen auch vom Datenschutz bemängelte technische Details geändert und das Abrechnungssystem vereinfacht werden.

Das internationale Interesse am „Stockholm-Versuch“ ist groß. Ausländische Delegationen gaben sich in den vergangenen Wochen in Stockholms Rathaus fast die Klinke in die Hand. „Innerhalb der nächsten zehn Jahre werden alle europäischen Großstädte ein ähnliches System einführen“, davon ist Kopenhagens Oberbürgermeisterin Ritt Bjerregaard überzeugt. Sie will in der dänischen Hauptstadt so schnell wie möglich ein Mautsystem nach Stockholmer Muster installieren. REINHARD WOLFF