„Ich bin nicht zahm“

INTERVIEW ULRIKE WINKELMANN

taz: Frau Buntenbach, der DGB-Bundeskongress im Mai litt enorm unter dem Chaos, das die Abwahl Ihrer Vorgängerin mit der Zuständigkeit Arbeit und Soziales, Ursula Engelen-Kefer, verursachte. War es nicht furchtbar ärgerlich, dass Ihr Aufrücken in den Bundesvorstand nur dank der peinlichen Intrige von Gewerkschaftsbossen gegen eine unliebsame Frau möglich war?

Annelie Buntenbach: Ich halte mich nicht für so zahm und freundlich, wie es die Berichterstattung teilweise nahe gelegt hat. In dem Bild „Unliebsame Frau wird von nachgiebiger Dame ersetzt, die sich die Butter vom Brot nehmen lässt“ finde ich mich nicht wieder.

Es geht ums Amt: Engelen-Kefer war Vize, Sie sind es nicht.

Es geht darum, welche Politik der DGB macht. Und an die engagierte Arbeit meiner Vorgängerin kann ich gut anknüpfen.

Und was machen Sie besser?

Jeder hat seinen eigenen Stil. Ich hoffe, dass ich die Mitglieder und die Öffentlichkeit für positive Forderungen nach Verteilungsgerechtigkeit, Generationensolidarität und Mindestlöhnen mitnehmen und dabei etwas mehr Selbstvertrauen und Zuversicht verbreiten kann.

Sie lehnen die Pläne der großen Koalition ab. Also bleiben Sie auf das Blockiererimage gebucht?

Ich sehe das nicht so schwarz-weiß. Es wär mir zwar auch lieber, ich könnte „Klasse, toll, machen wir!“ zu politischen Vorhaben der Bundesregierung sagen. Es wäre schön, wenn die Politik so aussähe. Aber unsere Ansprüche sind nicht beliebig. Das Blockiererimage wird uns vor allem von denen aufgedrückt, die egoistische Interessen durchboxen wollen.

Nach den Sommerferien legt die Koalition vier dicke Gesetzespakete vor: Gesundheit, Rente, Arbeitsmarkt und Unternehmensteuer. Jedes einzelne birgt schlechte Nachrichten für Arbeitnehmer. Was werden Sie tun?

Wir warten nicht bis Herbst. Wir haben unsere Ansprüche an die Politik klar formuliert und erwarten, dass die Bundesregierung dies ausreichend berücksichtigt. Das Wichtigste ist, dass der Arbeitsmarkt wieder in Ordnung kommt. Immer mehr Menschen kommen trotz Arbeit kaum über die Runden, von sozialer Absicherung ganz zu schweigen. Gleichzeitig müssen wir uns mit den Vorschlägen der Koalition auseinander setzen. Wenn etwas in die falsche Richtung geht, müssen wir das natürlich entsprechend deutlich machen.

Ja. Aber was tut der DGB gegen Gesetze, die er ablehnt?

Wir versuchen natürlich immer, das Bestmögliche herauszuholen. Die große Koalition ist allerdings sehr mit sich selbst beschäftigt, was in der Sache nicht unbedingt zu guten Ergebnissen führt. Doch wir geben uns mit einem kleineren Übel nicht zufrieden. Wir sehen zum Beispiel bei der Gesundheitsreform, dass wir mit unseren Reformvorschlägen gut aufgestellt sind. Wir wollen die solidarische Finanzierung ausweiten und die privaten Krankenkassen in die Pflicht nehmen. Dafür wollen wir möglichst viele Menschen gewinnen.

Die Kritik an den Eckpunkten für die Gesundheitsreform der großen Koalition fiel von allen Seiten vernichtend aus. Nur die DGB-Erklärung war recht sanft: Kein Hinweis auf die Kopfpauschale, die mangelnde Einbeziehung privat Versicherter kam im letzten Absatz. Ist das der neue schwarz-rote Sound des DGB?

Nur weil wir nicht sofort springen, wenn die Politik pfeift? Wir haben uns die Eckpunkte genau angeschaut und sehr deutlich gemacht, dass dies unseren Ansprüchen an den entscheidenden Punkten nicht gerecht wird. Wir sehen eher die Gefahr, dass der Gesundheitsfonds nur eine Fassade für eine weitere Privatisierung ist.

Die Bewertung der Reform durch die Fans der Bürgerversicherung schwankt zwischen „Witz“ und „Desaster“. Einige meinen: Das ist der Untergang. Andere sagen: Das Ding ist nicht umzusetzen, beruhigt euch.

Wenn überhaupt, ist das ein sehr schlechter Witz. Und es steht zu befürchten, dass die Koalition aus Gründen der Gesichtswahrung ein echtes Desaster verursachen wird.

Arbeitsminister Franz Müntefering will jetzt die Rente mit 67 mit Hilfe einer Aktion „50 plus“ zur Beschäftigung älterer Arbeitnehmer versüßen. Ziehen Sie da mit – auch wenn Sie die Rente mit 67 ablehnen?

Natürlich wollen wir die Arbeitsmarktsituation der Älteren verbessern. Doch auch hier erwarten wir von der Bundesregierung mehr. Die Ausweitung von Kombilöhnen oder 1-Euro-Jobs halten wir für falsch. Wir fordern mehr Qualifizierung und einen ehrlichen zweiten Arbeitsmarkt vor allem für ältere Arbeitslose, mit dem öffentlich geförderte, reguläre Beschäftigung für Ältere dauerhaft angeboten wird.

Es gibt bei der SPD- wie bei der Unionsfraktion Zustimmung für einen solchen „ehrlichen zweiten Arbeitsmarkt“: Wird dies das Konsensprojekt für die Gewerkschaften?

Schaun wir mal. Uns geht es darum, von den 1-Euro-Jobs weg- und zu regulärer Beschäftigung hinzukommen. Da bin ich sehr gespannt, wie weit SPD und Union sich bewegen. Notwendig ist es.

Die Koalition könnte einen Deal anbieten: Ihr bekommt euren „ehrlichen zweiten Arbeitsmarkt“ und haltet dafür beim Mindestlohn den Mund.

Wir lassen uns den Mund nicht verbieten. Wir brauchen beides. Tauschgeschäfte kann es bei so zentralen Anliegen nicht geben.

Die scheinen in der Politik üblich zu sein.

Für den DGB ist das eine Frage der Glaubwürdigkeit. Wir geben uns auch nicht mit einem Keks zufrieden und schauen zu, wie der Kuchen woanders verteilt wird.

Ist das Thema Generationensolidarität die Gewerkschaftsvariante der Generationengerechtigkeit?

Wir meinen damit den ungerechten Zustand, dass die Lebensarbeitszeit verlängert werden soll, obwohl die wenigsten bis 65 arbeiten können, während viele Jugendliche noch nicht einmal einen Ausbildungsplatz finden. Anders als die Generationengerechtigkeitsvorrechner glauben wir nicht, dass das Zahlenverhältnis Alte zu Junge das entscheidende Problem ist, sondern die Frage, wie der gesellschaftliche Reichtum produziert und gerechter verteilt wird.

Die wichtigste gemeinsame Aktion der Gewerkschaften ist dieses Jahr die Forderung nach dem Mindestlohn. Glauben Sie im Ernst, dass die SPD mitzieht?

Die SPD, aber auch die Koalition insgesamt kann das nicht aussitzen. Wir haben ein wirklich großes Problem mit der Ausweitung des Niedriglohnbereichs. Immer mehr Löhne werden unter jede Schamgrenze gedrückt. Es gibt über eine Million Minijobber, Teil- und Vollzeitbeschäftigte, die auf ergänzendes Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Wir müssen wirksame Haltelinien vereinbaren, damit die Löhne nicht weiter absacken. Dazu haben wir ein Stufenkonzept vorgelegt, das umsetzbar ist.

Kennen Sie einen SPD-Oberen, der laut Mindestlöhne fordert?

Die öffentliche Debatte ist auf den Herbst vertagt. Das bedeutet aber nicht, dass bis dahin nichts geschieht.

DGB-Chef Michael Sommer betont oft, wie gut der DGB sich jetzt gerade mit der Regierungs-CDU versteht – nach den grässlichen Schröder-Zeiten. Merken Sie das auch?

Ich bin unbefangen an meinen neuen Job gegangen und rede mit allen. Nur sehe ich bei den Plänen der Koalition noch nicht, wie das gute Verstehen zu guter Politik führt. Die Schröder-Zeit habe ich nicht beim DGB erlebt. Bei einer großen Koalition besteht leicht die Gefahr, dass Kompromisse um des Kompromisses willen geschlossen werden. Doch Politik ist kein Selbstzweck. Wir erwarten hier mehr Offenheit.

Jetzt sind Sie neben Ver.di-Chef Frank Bsirske die andere Grüne an der Gewerkschaftsspitze. Was haben Sie mit Bsirske gemeinsam?

Jedenfalls nicht die Vorliebe für Piratenfilme. Aber ich lese gern Krimis. Nein – Grüne haben einfach einen speziellen biografischen und kulturellen Hintergrund. Wir sind stark bürgerrechtlich und von der Forderung nach Beteiligung geprägt.

Was werden Sie den Grünen im September auf ihrem Zukunftskongress erzählen?

Ich möchte auch dort deutlich machen, wie stark sich der Verlust sozialen Schutzes als Demokratieverlust bemerkbar macht. Durch Hartz IV hat sich die Fallhöhe und -geschwindigkeit sehr erhöht. Das hat Rückwirkungen in die Betriebe hinein: Die Leute trauen sich aus Angst vorm Jobverlust nicht mehr, sich für eigene Belange und die der Kollegen einzusetzen. Aber wenn der aufrechte Gang am Werkstor endet, leidet die Demokratie insgesamt.

Interessieren sich die Grünen für Leute, die durch Werkstore gehen?

Sollten sie.

Die Grünen erklären gerade auf allen Kanälen, dass sie ab 2009 mit Union und FDP regieren wollen. Sind Sie dafür?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass man damit in der Gesellschaft etwas Vernünftiges bewegen kann.

Sie schieden 2002 als linke Quertreiberin aus der grünen Bundestagsfraktion aus …

Nö.

Sie sind in Unfrieden gegangen.

Ich habe nicht mehr kandidiert, weil die Fraktion und ich uns in den beiden entscheidenden Themenfeldern Arbeit und Soziales sowie Krieg und Frieden auseinander entwickelt hatten.

Wären Sie vielleicht jetzt in einer fusionierten Linkspartei besser aufgehoben?

Ich bin grünes Mitglied aufgrund besagter kultureller Prägungen und habe jetzt hier meinen Arbeitsschwerpunkt in den Gewerkschaften.

Die Linksfraktion teilt die meisten Standpunkte mit den Gewerkschaften. Der DGB tut so, als habe das mit ihm nichts zu tun. Befürchten Sie, mit einer marginalisierten Partei identifiziert zu werden?

Ich halte die ganze Diskussion für übertrieben. Der DGB ist und bleibt parteipolitisch unabhängig. Unsere Mitglieder sind doch nicht nur in der Linkspartei, sondern genauso in SPD, Union oder bei den Grünen aktiv. Wir vertreten ein breites gesellschaftliches Spektrum und lassen uns nicht in eine Ecke schieben.

Was nichts daran ändert, dass Linksfraktion und DGB sehr oft das Gleiche – oder fast das Gleiche sagen.

Wir lassen es uns nicht zum Problem machen, wenn eine Partei einen Teil unserer Forderungen übernimmt. Entscheidend ist aber, dass wir die Bundesregierung hin zu einer sozial gerechteren Politik bewegen.