Fall Pretzien erreicht BKA-Chef

In einem Brief an Ziercke beklagt das Anne Frank Zentrum den Umgang des BKA mit einem Gutachten zu dem berühmten Tagebuch. Gespräch soll nun Klarheit schaffen

BERLIN taz ■ Mit dreiwöchiger Verzögerung hat der Fall Pretzien auch die oberste Etage des Bundeskriminalamts (BKA) erreicht. In einem Brief an Behördenchef Jörg Ziercke zeigt sich das Berliner Anne Frank Zentrum enttäuscht über das Schweigen des BKA zu einer unschönen Nebenwirkung der Bücherverbrennung in Sachsen-Anhalt. Denn seit Neonazis in Pretzien das „Tagebuch der Anne Frank“ ins Feuer warfen, blühen im Internet erneut Verschwörungstheorien um die Echtheit des weltberühmten Zeitzeugnisses – und ein großer Teil davon beruft sich auf ein 26 Jahre altes Gutachten des Bundeskriminalamts.

Angesichts „der Brisanz der aktuellen Situation“ finde er das Verhalten des BKA „sehr bedauerlich“, schreibt der Direktor des Anne Frank Zentrums, Thomas Heppener. Es sei ihm ein wichtiges Anliegen, in einem persönlichen Gespräch zu klären, „welche gemeinsamen Wege es vor diesem Hintergrund gibt“.

Der jüngste Brief hat eine lange Vorgeschichte. 1980 hielt ein BKA-Gutachten fest, das Tagebuch enthalte mit Kugelschreiber verfasste Passagen aus den 50er-Jahren. Seither berufen sich Rechtsextreme auf diesen Befund, um Zweifel an der Echtheit zu streuen – so jüngst auch im Internetgästebuch von Pretzien. Laut Heppener steht allerdings längst fest: Eine Lektorin fügte die Anmerkungen ein.

Warum, so fragt Heppener seit dem Skandal in Pretzien, stelle das Bundeskriminalamt nicht endlich öffentlich klar: Das 26 Jahre alte Gutachten taugt nicht als Grundlage für Propaganda gegen Anne Franks Tagebuch. Auf Anfrage der taz erklärte die Behörde dazu vergangene Woche: Sie könne sich zum Inhalt des Gutachtens nicht äußern, da es sich um ein Auftragswerk für das Hamburger Landgericht handele.

Im Berliner Anne Frank Zentrum ist man dennoch zuversichtlich, dass Bewegung in die Auseinandersetzung kommt. Das BKA habe sich auf seinen Brief bereits zu einem Gespräch bereit erklärt, berichtet Heppener: „Ich werte das als Zeichen für das Bemühen, einen gemeinsamen Weg zu finden und das leidige Thema zu beenden.“

ASTRID GEISLER