Zuwanderung lässt Südwesten wachsen

Als einziges Bundesland verbucht Baden-Württemberg mehr Geburten als Sterbefälle. Die meisten der kleinen Badener und Schwäbinnen werden von Migranten in die Welt gesetzt. Insgesamt geht die Bevölkerung der Bundesrepublik weiter zurück

VON KATRIN RÖNICKE

Die Demografiedebatte? Fast könnte man glauben, in Baden-Württemberg habe noch niemand davon gehört. Im Südwesten wurden voriges Jahr mehr Menschen geboren als gestorben sind – das gab es in keinem anderen der 16 Bundesländer, wie aus den gestern veröffentlichten Zahlen des Statistischen Bundesamts für das Jahr 2005 hervorgeht.

Seit 1983 ist das so, schon mehr als zwanzig Jahre lang übertrifft die Zahl der Geburten die Zahl der Sterbefälle an Oberrhein und Neckar. Doch ein genauerer Blick auf die Zahlen zeigt: Auch in Baden-Württemberg ist es vor allem die Zuwanderung aus dem In- und Ausland, die zum Bevölkerungswachstum beiträgt.

Und zwar im doppelten Sinne. Nicht nur, dass die Neubürger selbst die Statistik verschönern. Sie setzen noch dazu mehr kleine Badener und Schwaben in die Welt als die Ureinwohner des Südwestens. In der Gruppe der Zugewanderten belief sich der Geburtenüberschuss auf 2.400 Personen. Nur durch diesen Zuwachs kam in der Gesamtbevölkerung überhaupt der kleine Überschuss von 200 Neugeborenen zustande.

Der Süden der Republik gilt dank großer Wirtschaftskraft und geringer Arbeitslosenquoten generell als attraktiv. Viele Ostdeutsche zum Beispiel ziehen bereits nach dem Schulabschluss dorthin, weil sie zu Hause keinen Ausbildungsplatz finden. Neben Baden-Württemberg verbucht deshalb auch Bayern bei den Einwohnerzahlen ein Plus. Dort fiel die Geburtenstatistik jedoch negativ aus, der Zuwachs ist alleine auf die Zuwanderung selbst zurückzuführen.

Ebenso erklärt sich der Zuwachs in den beiden Stadtstaaten Berlin und Hamburg sowie dem Speckgürtel-Land Schleswig-Holstein. Die Hansestadt wuchs mit 0,5 Prozent sogar am stärksten. In den elf übrigen Bundesländern ging die Bevölkerungszahl zurück.

Insgesamt zählten die Wiesbadener Statistiker zum Stichtag 31. 12. 2005 in der Bundesrepublik 82,438 Millionen Einwohner. Das waren 63.000 weniger als ein Jahr zuvor. Im Vergleich zu früheren Jahren hat sich der Rückgang damit beschleunigt.

Seit Beginn der gesamtdeutschen Bevölkerungsstatistik im Jahr 1990 sterben in Deutschland mehr Menschen als geboren werden. Dieses Geburtendefizit wurde jedoch bis zum Jahr 2003 aufgefangen, da gleichzeitig mehr Menschen in die Republik ein- als auswanderten. Seit drei Jahren reicht dieser Wanderungsüberschuss nicht mehr aus, das Defizit bei Geburten- und Sterbezahlen auszugleichen. Deutschlands Bevölkerung geht trotz Zuwanderung ständig zurück.

Besonders dramatisch ist der Einwohnerschwund in den neuen Bundesländern. Die Zahl der Ostdeutschen verringerte sich innerhalb eines Jahres erneut um fast 90.000. Die hohe Arbeitslosigkeit und schlechte Zukunftsperspektiven treiben vor allem junge Menschen in den Westen und das europäische Ausland. Aber auch Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland ziehen die bundesweite Statistik nach unten.

Auch das Musterland Baden-Württemberg kann sich dem gesamtdeutschen Trend nicht ganz entziehen: Seit 2001 fällt die jährliche Bevölkerungszunahme jedes Jahr geringer aus. Verbuchten die Statistiker damals noch ein Plus von 76.500 Personen, so kamen zuletzt nur 18.000 neue Einwohner hinzu. Das ist ein Rückgang um 75 Prozent.

Setzt sich dieser Trend fort, bleibt es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich auch Baden-Württemberg in der Reihe der schrumpfenden Bundesländer einfindet.