Berliner Ethik ist nicht zu stoppen

Bundesverfassungsgericht lehnt Eilantrag von christlichem „Notbund“ gegen das Pflichtfach Ethik in der Schule ab: 12-Jährige soll sich individuell befreien lassen

FREIBURG taz ■ Der in Berlin neu eingeführte Ethik-Unterricht kann im nächsten Schuljahr wie geplant starten. Gestern scheiterte eine 12-jährige Schülerin beim Bundesverfassungsgericht mit einem Eilantrag. Wenn sie am Ethik-Unterricht nicht teilnehmen will, so erklärten die Richter, soll sie sich zunächst um eine individuelle Befreiung bemühen.

Die evangelische Schülerin sah sich in ihrer Religionsfreiheit verletzt, wenn sie gezwungen werde, am Ethik-Pflichtunterricht teilzunehmen. Es sei unmöglich, das Fach Ethik religiös neutral zu unterrichten. Dort sei der Mensch das Maß aller Dinge. Für Christen müsse aber Gott im Mittelpunkt stehen.

Hinter der Klage steht der „Notbund für den evangelischen Religionsunterricht“, den der Berliner Rechtsanwalt Reymar von Wedel gegründet hat. Der 80-Jährige hatte früher als Justiziar für die Kirchenverwaltung gearbeitet. Gezielt erinnert von Wedel an den „Pfarrernotbund“, den der Berliner Martin Niemöller 1933 gründete. „So schlimm wie damals ist es zwar noch nicht, aber es kann so werden“, polemisiert von Wedel.

In Berlin ist der Religionsunterricht schon seit Jahrzehnten kein ordentliches Lehrfach, sondern wird nur als freiwillige, jedoch staatlich mitfinanzierte Arbeitsgemeinschaft angeboten. Der neue Ethik-Unterricht soll dagegen alle Schüler erreichen und insbesondere Integrationsdefizite von muslimischen Migrantenkindern ausgleichen. Ab Beginn des neuen Schuljahres am 21. August wird der Ethik-Unterricht zunächst in der 7. Klassenstufe eingeführt und soll schrittweise bis zur 10. Klasse ausgebaut werden.

Die Verfassungsrichter zogen sich gestern elegant aus der Affäre. Statt eine generellen Entscheidung über den Ethik-Unterricht zu treffen, verwiesen sie die klagende Schülerin darauf, zunächst eine individuelle Befreiung zu beantragen. Zwar ist ein Abmelden vom Ethik-Unterricht im Gesetz nicht vorgesehen, weil dieser sonst ja keine integrierende Wirkung hätte. Aber die Richter verweisen auf einen Passus im Berliner Schulgesetz, der die Befreiung vom Unterricht „aus wichtigem Grund“ erlaubt.

Für die Schulverwaltung und die Verwaltungsgerichte ist dies allerdings ein heikler Weg. Wenn sie christlichen SchülerInnen aus Glaubensgründen den Ausstieg aus dem Ethik-Unterricht ermöglichen, können sie dies muslimischen Kindern kaum verwehren. Vermutlich wird der Streit bald wieder das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. (Az.: 1 BvR 1017/06)

CHRISTIAN RATH