„Dann wird Haareschneiden eben teurer“

Mindest- oder Kombilohn? Um die Binnennachfrage zu stärken, brauchen wir ein Investitionsprogramm undden Mindestlohn. Sonst wird Hartz IV immer mehr zum Kombilohn, so der Ver.di-Chefökonom Michael Schlecht

taz: Herr Schlecht, die wichtigste positive Forderung von Linken und Gewerkschaften ist derzeit der Mindestlohn. Zählen Sie bei der anstehenden Debatte im Herbst auf die SPD als Verbündeten?

Michael Schlecht: Es gibt seitens der SPD-Spitze etwas undeutliche, schwankende Verlautbarungen, dass ein Mindestlohn sinnvoll ist. Damit ist freilich die Frage nach dessen Höhe noch nicht beantwortet. Was ich in den vergangenen Monaten von Kanzlerin Angela Merkel und vom Vizekanzler und Arbeitsminister Franz Müntefering gehört habe – das klingt in der Tat nicht besonders verheißungsvoll.

Die Mindestlohn-Fans polarisieren die Debatte: Kombilohn böse, Mindestlohn gut. Wenn aber so viele Menschen ihre Arbeitskraft nicht mehr existenzsichernd verkaufen können – warum soll der Steuerzahler ihnen dann nicht einen Zuschuss, den Kombilohn, dazugeben? Damit die Löhne nicht auf null rutschen, kann man dann ja darunter einen Mindestlohn einziehen.

Diese Analyse unterstellt, dass in Deutschland die Lohnhöhe das Problem ist. Das ist aber verkehrt. Das eigentliche Problem ist, dass wir zu wenig öffentliche und private Nachfrage haben. Deshalb fordern wir auch ein öffentliches Zukunftsinvestitionsprogramm von 40 Milliarden Euro. Damit würden die massiven Mängel in Bildung und öffentlicher Infrastruktur behoben, eine Million Menschen kämen in Arbeit und würden durch den Konsum die Wirtschaft ankurbeln.

Wenn es so einfach wäre, könnte man 40 Milliarden Euro über die Köpfe rieseln lassen und warten, dass alle einkaufen gehen.

Es geht nicht darum, das Geld zu verschenken. Ein Investitionsprogramm würde Bildung, Erziehung und die Infrastruktur voranbringen – und so hierzulande Jobs schaffen.

Nun gehen aber Kleinverdiener, wenn sie plötzlich Geld haben, eher einen Videorecorder aus Korea kaufen, als dass sie eine Putzhilfe oder einen Autowäscher beschäftigen – und so hierzulande Jobs schaffen.

Selbst wenn ein Teil des Geldes nicht im Lande bliebe – das meiste davon würde die Produktion hier anschieben.

Vermutlich wird weder diese noch die nächste Regierung 40 Milliarden Euro aus dem Ärmel – beziehungsweise aus den Reichen – herausschütteln. Stattdessen wird den Mindestlohn-Befürwortern vorgehalten, sie würden Jobs vernichten.

Der Mindestlohn würde die Binnennachfrage stärken. Eine von Ver.di in Auftrag gegebene Analyse belegt, dass mit 70.000 neuen Jobs zu rechnen ist.

Erst einmal aber gilt: Wenn der Frisör in Sachsen-Anhalt plötzlich 7 statt 3,50 Euro bezahlen muss, entlässt er eben zwei seiner vier Mitarbeiterinnen.

Der Frisör muss den Preis fürs Haareschneiden anheben. Gegenwärtig erleben wir bei den Frisören doch eine Schmutzkonkurrenz: Das Haareschneiden wird dank Lohndumping seit Jahren billiger.

Die Sachsen-Anhaltiner, ihrerseits nicht begütert, werden dann ihre Haare selbst schneiden – oder schwarz schneiden lassen.

Das machen bloß die, die sich jetzt die Haare auch schon selbst schneiden. Aber so viele Frisörinnen im Osten gibt es ja auch gar nicht. Ein Mindestlohn würde dem viel größeren Teil der Niedriglohnbeschäftigten bei mittleren und großen Firmen helfen – bei McDonald’s etwa –, auf deren Rücken derzeit dicke Profite erwirtschaftet werden. Das Beispiel England hat gezeigt, dass nach Einführung des Mindestlohns dort die Extra-Profite schrumpften – aber kaum Jobs abgebaut wurden.

Was spricht nun aber dagegen, ergänzend zum Mindestlohn, für all jene einen Kombilohn zu schaffen, die – etwa wegen Teilzeitarbeit oder in Minijobs – auch mit Mindestlohn kein existenzsicherndes Einkommen hätten?

Faktisch haben wir mit Hartz IV ja schon einen Kombilohn. Beschäftigte mit Hungerlöhnen und viele Teilzeitler und Minijobber beziehen ergänzend zum Lohn Arbeitslosengeld II. Wir rechnen mit ein bis zwei Millionen Menschen, die man als „working poor“ bezeichnen kann, die also arbeiten und trotzdem arm sind. Das ist ein Grund, warum Hartz IV für den Steuerzahler immer teurer wird. Geht das so weiter, besteht die Gefahr, dass die Bundesregierung schon in diesem Herbst die ALG-II-Leistungen kürzt – anstatt den Mindestlohn einzuführen. Dieser aber wäre die einzige Chance, dieselben Leute aus dem ALG II herauszuholen. Wir würden mit 7,50 Euro einsteigen, das Ziel lautet aber neun Euro. Dann wären die Leute vor Hartz IV sicher.

Also heißt die Frage nicht Kombilohn oder Mindestlohn – sondern Mindestlohn oder noch mehr Kombilohn.

Ja. Ich finde das nicht gut, aber das ist die miserable Realität.

INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN