mitschriften aus der letzten reihe
: Verdammt unfair: Mit Erfrischungsstäbchen wettern gegen die Exzellenzinitiative

Im klimatisierten Hörsaal 1 der Freien Universität (FU) hat das politikwissenschaftliche Seminar „Elitenrekrutierung im deutschen Hochschulsystem“ eine Veranstaltung zur „Exzellenzinitiative“ organisiert. Viele der Studenten, die man hier konsequent Studierende nennt, haben blonde Zöpfe und Dreitagebärte, fast alle tragen Outdoor-Sandalen. Fürs Podium wurden wegen der Hitze Erfrischungsstäbchen besorgt.

Gastredner Professor Michael Hartmann, Elitensoziologe von der TU in Darmstadt, spricht frei und engagiert, gestählt von zahlreichen Podiumsdiskussionen mit Politikern und Wirtschaftsbossen, bei denen er mit seinen kritischen Positionen oft aneckt. Und so sagt er auch gleich: Die Exzellenzinitiative, die eigentlich die UMTS-Milliarden auf die Hochschulen verteilen sollte, habe sich zu einem Instrument der Hierarchisierung der Hochschullandschaft entwickelt. Die soziale Selektivität werde deutlich zunehmen. Von 120 würden 25 Unis weiterhin forschen, die anderen aber deutlich schlechter dastehen als bisher und nur noch die Massen durch eine Universitätslaufbahn schleusen. Die ganze Initiative sei als Teil eines gesamtgesellschaftlichen Prozesses zu sehen, der die Gesellschaft in wenige Gewinner und viele Verlierer zerlege.

Hartmann fragte, was das ewige Vorbild USA mit seiner Ivy League, seinen Hochschulrankings und hohen Studiengebühren lehre. Im Grunde Übles: Man könne von einer Verelendung der Lehre an den amerikanischen Elite-Unis sprechen. 70 Prozent der Veranstaltungen im Undergraduate-Bereich würden dort nicht mehr von Professoren gehalten. Der Ruf der Unis innerhalb der „scientific community“ komme nur zustande, weil Kapazitäten eingekauft würden – Harvard allein verfügt über ein Vermögen von 27 Milliarden Dollar.

Als Horrorszenario beschrieb Hartmann dann die „Selektivität“ bei der Zulassung der Studenten. Das Auswahlgremium von Harvard beispielsweise lehne 90 Prozent der Bewerber ab. Wirklich nur leistungsbedingt? Auf den Eignungstest könnten sich nur Reiche in Privatkursen vorbereiten. Das Kriterium „personality“ – in den 20er-Jahren eingeführt, um die christliche Upper Class nicht mit allzu vielen jüdischen Studenten zu verschrecken – begünstige heute nur soziale Ähnlichkeit: Die Auswählenden wählen Kandidaten, die ihnen selbst ähnlich sind.

Im Ergebnis kämen an den amerikanischen Spitzenunis aus den unteren 80 Prozent der Bevölkerung nur 20 Prozent der Studenten – ebenso viele wie aus den oberen 2 Prozent. Das hehre Beispiel USA erweise sich also als ein von deutschen Politikern kritiklos nachgeplapperter Mythos.

Professor Hartmann steckt sich eines der bereitgestellten Erfrischungsstäbchen in den Mund und erwartet die Fragen der Studenten. „Jetzt auch mal ein Mädchen!“, ruft ein Mädchen schon nach der zweiten Frage. In mein Holzpult hat jemand in großen Buchstaben „Anarchy“ geschnitzt, aber die Studentinnen auf dem Podium achten darauf, dass es bei den Wortmeldungen paritätisch zugeht. Ein Student aus Peru erinnert daran, wie gut das deutsche System im Vergleich zu dem seiner Heimat sei. Ja, noch sind wir unter den besten vier der Welt, sagt der Professor, aber das wird sich ändern. Leider würden sich ja die Hochschulen, denen es schlechter gehen wird, nicht engagieren – sie würden ja damit zugeben, nicht zur Elite zu gehören.

Um 20.15 Uhr, nach über zwei Stunden trauriger Aussichten, in denen hinter den Fensterscheiben schon eine ganze Batterie Miniröcke den Campus verlassen hat, scheint das Mikrofon einen Wackelkontakt zu haben. Aber dann erschallt eine Stimme aus dem Off, ein bisschen wie Gott: „Hier spricht die Technik! Sie haben den Saal nur bis acht gemietet, und wir bekommen nur so lange Geld. Soll ich Überstunden machen?!“ Dabei war eigentlich eine Frau dran mit Reden! Auf dem Klo stelle ich fest, dass mich inzwischen an der Uni nicht mehr nur die Frauen, sondern auch schon die Sensoren der Wasserhähne ignorieren.JOCHEN SCHMIDT