Tränen und Kusshändchen für Zündel

Das Verfahren gegen den Holocaust-Leugner Ernst Zündel läuft nun schon neun Monate. Als das Gericht eine DVD mit den Websites des Angeklagten sichtet, kommt es zu Gefühlen. Doch den Staatsanwalt bringt eher die Monotonie aus der Fassung

AUS MANNHEIM KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Ein paar Aktivisten aus der regionalen Neonaziszene tragen auf den Zuschauerbänken neuerdings Uniform. Rote Latzhosen mit der Aufschrift „Ernst-Zündel-Truppe“. Draußen in der Stadt hält man sie für Möbelpacker. Ihr Held ist der wegen der Leugnung des Holocaust und der Verunglimpfung des Andenkens an Millionen von ermordeten Juden angeklagte Ernst Zündel. Das bereits zweimal unterbrochene Verfahren gegen den 67-Jährigen, der seit Mitte 2005 in Untersuchungshaft sitzt, ist für seine Anhänger „ein klarer Fall von Justizkriminalität“.

Laut sagen das die Alt- und Neonazis im Gerichtssaal allerdings nicht mehr. Denn die 6. Große Strafkammer unter Vorsitz von Richter Ulrich Meinerzhagen lässt Störer im Saal inzwischen von der Polizei vorübergehend festnehmen. Die Hetzer werden umgehend zu drastischen Geldstrafen verurteilt.

So herrscht im ausgedünnten braunen Auditorium jetzt relative Ruhe. Selbst der braune Staradvokat Jürgen Rieger vermeidet inzwischen die allzu direkte Konfrontation mit dem Gericht. Die rechtsextremistische Wahlverteidigerin Sylvia Stolz war vor dem Bundesgerichtshof mit dem Versuch gescheitert, ihren Ausschluss aus dem Verfahren wegen „Hasstriaden gegen Juden, Prozessverschleppung und Missachtung der Kammer“ letztinstanzlich revidieren zu lassen.

Im Rahmen der Beweisaufnahme sichtete die Kammer zunächst eine DVD mit Auszügen aus den in den USA und in Kanada produzierten „Zundel-Sites“, deren volksverhetzende Inhalte ein Grund für die Anklageerhebung gegen Zündel sind – neben den „Germania-Rundbriefen“, die Zündel in unregelmäßigen Abständen verfasste und dann als Broschüren oder im Internet verbreitete.

Produzentin der Website war – und ist noch – die Ehefrau von Zündel. Die Kammer hätte die US-amerikanische Staatsbürgerin und kalifornische Literaturpreisträgerin Ingrid Rinland, die als Russlanddeutsche in der Ukraine geboren ist, gern als Zeugin geladen. Doch die bekennende Hitlerverehrerin traut dem von der „Besatzerjustiz“ zugesicherten „freien Geleit“ nicht, wie sie dem Gericht erst vor wenigen Tagen schriftlich mitteilte.

Auf der gezeigten DVD singt Rinland das Hohelied des deutschen Wehrmachtssoldaten – „weil uns diese blonden, tapferen und anständigen Männer, die alle Hochdeutsch sprachen, aus den Klauen der Bolschewisten befreiten“. Da vergoss nicht nur Zündel ein paar Tränen. Auch alte Kämpfer aus SS-Verbänden packten auf den Zuschauerbänken ihre Taschentücher aus.

Im Zuschauerraum saß derweil neben der verhinderten Wahlverteidigerin Stolz auch der NPD-Anwalt Horst Mahler – und ein aus Kanada angereister Freund, der dem sichtlich gerührten Zündel noch rasch ein Kusshändchen zuwarf: „Von Ingrid.“ Da wachte sogar Zündels greiser zweiter Wahlverteidiger, der Rechtsextremist Herbert Schaller aus Österreich, aus seinem Vormittagsschläfchen auf. Zündel selbst, der Verhandlungstag für Verhandlungstag eine Bananenkiste voll mit Akten vom Gefängnis mit zum Gericht schleppt, ging danach wieder seiner Lieblingsbeschäftigung nach: Er beschriftete pausenlos gelbe Klebezettel und heftete sie auf die Aktenseiten.

Am Freitag wurde dann Staatsanwalt Andreas Grossmann, der sich seit Prozessbeginn im November 2005 immer extrem cool geriert hatte, plötzlich laut. Der ohnehin nuschelnde Kammervorsitzende hatte sich angeschickt, in schier endloser Folge die immer gleichen Überschriften von Internetbeiträgen zu verlesen, auf die Zündels Website verweist: „Auschwitz – Mythen und Fakten!“ Oder: „Holocaust? Welcher Holocaust?“

Richter Meinerzhagen ließ sich nicht beeindrucken vom staatsanwaltschaftlichen Vorhalt der „Zeitverschwendung durch vielleicht Stunden dauerndes Verlesen der immer gleichen, sattsam bekannten Überschriften“. Das Gericht wolle sich von der Verteidigung nicht erneut vorwerfen lassen, eine „Geheimverhandlung“ zu führen, so der Kammervorsitzende. Deshalb werde alles verlesen, was in der Akte des Bundeskriminalamts stehe. Die war rund 20 Zentimeter dick. Der Saal leerte sich schlagartig.

Der Prozess wird am kommenden Freitag fortgesetzt.