nebensachen aus bukarest
: Die meteorologische Bombe: Russlands Schuld am Hochwasser in Rumänien

Herr Vasile ist ein drahtiger Rentner. Und ein rumänischer Patriot. Vor 40 Jahren kam er in die Hauptstadt und lebt seither in einem Hochhaus. Er liest Zeitungen und sieht fern. Er ist auf dem Laufenden und hat Antworten auf alle Fragen, die ihn und seine Landsleute beschäftigen.

Um seine kleine Rente aufzubessern, hat er sich bei einer Familie verdingt. Er kümmert sich um deren an ein Landhaus angrenzenden Garten. Als nun im vorigen Frühjahr die Flüsse über ihre Ufer traten, ganze Landstriche überschwemmten und auch der durch den Garten fließende Bach bedrohlich anschwoll, war Herr Vasile ratlos. Betroffen verfolgte er die Nachrichten und hörte von überfluteten Dörfern, ertrunkenen Menschen und Tieren. Mit dem Anschwellen des Baches schien die Hochwasserkatastrophe demnächst auch über den Garten hereinzubrechen.

Dass es bei diesen verheerenden Überschwemmungen nicht mit rechten Dingen zuging, hatte sich Herr Vasile wohl gedacht. Nur diesmal fehlte ihm eine plausible Erklärung. Erst als er eines Morgens auf dem Markt in seinem Wohnviertel das Gerücht von einem geheimen Angriff der Russen hörte, ging ihm ein Licht auf. Ja, die Russen seien es, die hinter den Überschwemmungen stünden. Sie würden sich nun an den Rumänen rächen, für deren Unbotmäßigkeit und proamerikanische Sympathien. Als Herr Vasile in einer Talkshow sogar einen Politiker die raunende Vermutung aussprechen hörte, die Russen würden Rumänien in ein geheimes Experimentierfeld für eine ihrer Wunderwaffen verwandelt haben, war alles klar.

Das Gerücht vom Abwurf einer meteorologischen Bombe verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Einige Zeitungen bauschten das Gemunkel von den Umtrieben der Russen zu einer Tatsache auf, und Rumänien suhlte sich wieder wie zu guten alten Ceaușescu-Zeiten in der Rolle eines Opfers der Großmacht Russland.

Die Apokalypse ist angebrochen, verkündete die Zeitung der Großrumänischen Partei, nachdem ein Wolkenbruch in mehreren Dörfern eine meterhohe Flutwelle verursacht hatte, in deren Folge Häuser zerstört wurden, Menschen und Vieh ertranken. Angesichts dieser Zustände und einer zunehmenden Unruhe durfte die Politik den arglistigen Anschlägen auf das Vaterland nicht tatenlos zusehen. Doch die Bedrohung durch die meteorologische Bombe scheint ein kompliziertes Problem zu sein. Schließlich beschloss das Parlament, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, der „einen aktiven Eingriff in die Atmosphäre“ vorsieht. Die Großrumänische Partei unterstützte das. Parteizeitungen zitierten Experten, die herausgefunden hätten, dass die Russen durch Veränderungen des Wassers im Schwarzen Meer die Überschwemmungen in Rumänien herbeigeführt haben. Für Herrn Vasile ist dies eine amtliche Bestätigung für seine Zweifel an den natürlichen Ursachen der Überflutungen. Er kann nun wieder ruhig schlafen. Die Politik wird zukünftige Hochwasser verhindern. WILLIAM TOTOK