Mangel an politischer Bildung

Ein Provinz-Coup: In Schwerin eröffnete die im Vorfeld umstrittene Ausstellung „Zur Diskussion gestellt: Der Bildhauer Arno Breker“ im Schleswig-Holstein-Haus. Nach all der medialen Erregung ist dabei nun eine eher naive als apologetische Haltung zum Ausstellungsgegenstand zu beobachten

Man erkennt ein viel versprechendes Frühwerk, denn Breker kann alles – nur hat er keinen eigenen Stil

von BRIGITTE WERNEBURG

Muss man Arno Breker zeigen? Falls man in Schwerin sitzt und mit dem nahenden Sommer wieder einmal vor der schwierigen Aufgabe steht, die Touristen in die Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern zu locken: Ja. Unbedingt. Schließlich hat der bildungsbürgerliche Tourist schon längst die Attitüden der Upper Class übernommen. Das herrschaftliche Anwesen allein, die Rennpferde, Golfplätze, Yachten und Kunstsammlungen, was eben alles zu einem solchen Anwesen gehört – und was das Haus Meck-Pomm seinen Gästen durchaus zur Verfügung stellt –, all das reicht eben nicht aus, um als heißeste Party des Sommers im Gespräch zu sein. Erst der annoncierte Skandal und die bange Frage, ob er denn wirklich stattfinde, verbürgen die Anwartschaft auf den begehrten Titel. Am Freitag, dem Eröffnungstag der Ausstellung, einen älteren Herrn von lässig hippiesken Auftreten samt ebenso superbourgeoiser, teuer gekleideten Begleiterin in der Schweriner Altstadt zu sehen, dessen T-Shirt vorn ein „Arno Nazi Nein“ und rückseitig ein „Pfui Schwerin“ zierte, erstaunte also wenig. Sie gingen eben auf die Party und wussten, was sich gehört.

Dort erklärte der Kurator der Ausstellung, Rudolf Conrades, er habe keine Hommage im Sinn gehabt. Die Frage nach der Kunst sei für ihn zweitrangig, ihm gehe es um den Umgang mit ihr, dem Künstler, die fehlende Diskussion. Im Klartext: Conrades interessierte der Tabubruch, der natürlich das Vorzeichens der historisch-kritischen Aufarbeitung braucht. Immerhin handelt es sich um die erste Personalausstellung zu Breker in öffentlicher Trägerschaft seit Kriegsende. Auch der Kulturdezernent der Stadt suchte den Anwesenden die Ausstellung so anzudienen und verwies auf Podiumsdiskussionen und Filmvorführungen eines umfangreichen Begleitprogramms, das leider noch nicht auslag – wie es auch keine Pressemappe gab, etwa mit einer Auflistung der ausgestellten Arbeiten, die der Katalog vermissen lässt. Einen Anstoß zur Diskussion über die Korrumpierbarkeit von Künstlern in der NS-Zeit, über die Verführbarkeit und Verfügbarkeit von Kunst ganz allgemein, sah Hans-Robert Metelmann, Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur, in der Breker-Schau und sprach von „einen Beitrag zur politischen Bildung“. Das war ein bisschen dünn. Plötzlich dachte man, wie schön es doch wäre, gäbe es auch in Schwerin einen Tübke, den man hätte abhängen können – um für Breker Platz zu schaffen. Was wäre das erst für ein Beitrag zur politischen Bildung gewesen!

Ein kleines, altersgebeugtes Fachwerkhaus genügt, siebzig Exponate zu zeigen. Notwendigerweise also viele Kleinplastiken, liegende und sitzende Frauen; ein „stehender Jüngling“ von 1927 hat knapp Lebensgröße; viele Porträtbüsten sind zu sehen, aus der Vor- und Nachkriegszeit – Peter Ludwig oder Ernst Jünger –, am eindrucksvollsten aber die Bronzebüste eines müden, resignierten Max Liebermann aus dem Jahr 1934 sowie dessen Totenmaske, 1935, die Breker auf Bitten der Witwe abnahm; zuletzt stößt man auf vier überlebensgroße Skulpturen vom Ende der Dreißiger- bis Mitte der Vierzigerjahre: „Wäger“ und „Wager“ sowie zwei Frauenfiguren, „Demut“ und „Eos“. Knapp gehaltene, erklärende Hinweistafeln und einige wenige schriftliche und fotografische Dokumente ergänzen die ausgestellten Exponate. Sämtlich sind sie Leihgaben der Witwe Brekers, wie auch die Fotos von seiner Ausstellung 1942 in Paris und ein Brief Cocteaus. Ersichtlich verfügt das Schweriner Schleswig-Holstein-Haus weder über die wissenschaftlichen und personellen noch über die finanziellen Mittel, die historisch-kritische Aufarbeitung wirklich zu leisten. Dass es auch der Katalog dabei belässt, wie auf der Hinweistafel von einer „deutlichen Distanzierung“ Brekers vom Nationalsozialismus 1981 sprechen, dazu aber keine weitere Information, keinen Wortlaut, liefert, solche Peinlichkeiten fallen auf. Ein Provinzcoup ist zu besichtigen.

Breker, 1900 als Sohn eines Steinmetzmeisters geboren, hatte zuerst in Düsseldorf und dann bei Aristide Maillol und Charles Despiau in Paris studiert, wo er bis 1934 lebte und arbeitete. Er ist sichtbar von Rodin geprägt. Man erkennt ein viel versprechendes Frühwerk, wie der Standardausdruck heißt, denn Breker kann alles – nur hat er keinen eigenen Stil. Ein wenig sieht es so aus als habe er sich, bevor es ernst wurde und er spätestens mit ihm hätte hervortreten müssen, von den Nazis kaufen lassen. Vielleicht ahnte er ja, dass er ihn nie entwickeln würde? Ihre Staatsaufträge jedenfalls verschafften ihm seinen Stil, der Monumentalität hieß, und dazu eine Million Reichsmark im Jahr, wobei Hitler persönlich darauf achtete, dass Breker, den er für den „größten Bildhauer unserer Zeit“ hielt, nur 15 Prozent Steuern zahlte.

Die Kunst selbst erzählt einiges. „Wager“ und „Wäger“ etwa sind erstaunlich schlampig ausgeführt. Vor allem den „Wager“ möchte man gern den Mann ohne Unterleib nennen, so disproportional ist seine überschlanke, effeminierte Taille und sein winziger wohlgeformter Arsch im Verhältnis zum mächtigen Brustkorb und Kopf. Würde er das Spielbein neben das Standbein setzen, müsste er wie Goebbels einen erhöhten Schuh tragen. Das Standbein ist leicht zehn Zentimeter kürzer als das Spielbein. Solche Fehler sind beim noch ganz expressiv gestalteten „Läufer“ von 1928 nicht zu beobachten. Es genügt Breker also, das ikonische Moment herauszuarbeiten, das die Skulpturen nach seinem Überlaufen zu Hitler auszeichnet: extrem geglättete Oberfläche, überbreite Schultern, muskulöse Brust, flacher Bauch und drauf gesetzt ein herrischer Kopf. Der Rest interessiert ihn nicht, die Arme sind zu lang, die Beine ungleich und immer zu kurz. Er hat keine Zeit, er muss die geplanten Monumentalbauten seines Auftraggebers plastisch dekorieren; mit riesigen Reliefmotiven, für die er sich ausgiebig bei den Vorbildern aus der Antike, etwa dem Pergamonaltar, und der Renaissance, vor allem bei Michelangelo, bedient.

Wenig erstaunlich, dass sich das Interesse der bundesrepublikanischen Kunstmuseen, Breker auszustellen, in Grenzen hielt. Ihr primärer Auftrag ist ja weniger die politische als die ästhetische Bildung und dafür gibt Breker, der 1991 starb, nicht allzu viel her. Wie die Ausstellung „Taking Positions“ belegte, die 2001/2002 in Leeds, Berlin und Bremen lief, fällt er mit Skulpturen wie der auch in Schwerin gezeigten „Siegerin“, dem „Wager“ oder dem „Verwundeten“ im Kontext seiner ebenfalls figürlich arbeitenden Kollegen wie Marcks, Lehmbruck, Kolbe oder Hermann Blumenthal nicht weiter auf. Weder unangenehm– das Werk Georg Kolbes zeigte einen wenigstens so gesunden, sauberen, womöglich rassisch einwandfreien Menschentypus; noch als besonders herausragend unter bilderhauerischem Aspekt. In diesem Kontext wäre er heute einer unter anderen. Allein das vernichtete, nur über Fotos überlieferte Werk, seine Monumentalarbeiten, die auf eine übersteigerte, ideale Bildsprache, auf Symbolik setzten und auf die individuelle Gebärdensprache verzichteten, machten das viel versprechende Talent zum Künstlerstar. Glücklicherweise erübrigt sich die museale, anschauliche Auseinandersetzung mit diesem genuinen Breker-Werk. Was nicht heißt, seine unbedingte, von Ehrgeiz, Eitelkeit und ideologischer Überzeugung getragene Bereitschaft Hitlers Kampf um die Weltherrschaft zu unterstützen, sei keiner weiteren Untersuchung wert.

Nach all der medialen Soll-man?-Darf-man?-Muss-man?-Erregung ist in Schwerin eine eher naive als apologetische Haltung zum Ausstellungsgegenstand zu beobachten. Es fällt auf, dass es die ostdeutsche Provinz ist, die in den letzten Jahren glaubt, Tabus brechen zu müssen. 1998 Potsdam mit Riefenstahl, jetzt Schwerin mit Breker. Aus einsichtigen Gründen wurden diese beiden herausragenden Protagonisten einer staatlich gelenkten Kunst in der DDR noch weniger gezeigt als in der Bundesrepublik. Eine Selbstreflexion dieses Umstands, und wie er vielleicht eine besondere ostdeutsche Neugier am Thema nicht nur provoziert, sondern auch legitimiert, leistete die Schau in Potsdam kaum, in Schwerin fehlt sie völlig. Hier mangelt es deutlich an politischer Bildung.

Bis 22. Oktober, Katalog 14,85 €