Gemeinsam einsam

In Nordrhein-Westfalen spitzen sich Pressekonzentration und Zeitungssterben zu. Nun soll sich der Bundestag mit mutmaßlichen Absprachen zwischen den Verlagen der Region beschäftigen

Aus Düsseldorf Boris R. Rosenkranz

Was für ein Zufall. Erst verkündeten die Dortmunder Ruhr Nachrichten (RN), sich mit 40 Prozent an der bisherigen Konkurrentin Recklinghäuser Zeitung (RZ) zu beteiligen und mit ihr im Vertrieb zu kooperieren. Dann, kurz nach der Zeitungshochzeit, gab RN-Verleger Florian Lensing-Wolff bekannt, drei Lokalredaktionen zu schließen. Und zwar im Verbreitungsgebiet der RZ. Das war 1975.

Nun, gut 30 Jahre später, wiederholt sich das Szenario in Nordrhein-Westfalen. Wieder verbünden sich Verlage im Ruhrgebiet. Wieder werden Redaktionen geschlossen. Und wieder gehen Meinungsvielfalt und Arbeitsplätze verloren. Diesmal sind es zwei Zeitungen, die binnen eines Jahres insgesamt zehn Lokalteile schließen; ein weiteres Blatt wird sogar ganz eingestellt.

Erneut begann alles mit einem Deal. Im Januar genehmigte das Bundeskartellamt den kein Gemeinschaftsunternehmen mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) aufzubauen. Offenbar benötigten die RN eine Druckmaschine, die gerade die alte Rivalin WAZ abzweigen konnte. Welche Folgen das haben sollte, zeigte sich drei Tage nach dem Kartellamts-Segen: Die RN erklärten, Ende März drei Lokalteile zu schließen.

Was auch geschah. Seither sind die Städte in Hand der Essener WAZ, der größten Regionalzeitung des Landes. Bis auf eine: In Gelsenkirchen schien die Buersche Zeitung (BZ) die letzte Bastion zu sein auf dem Weg der WAZ zu einem weiteren Monopol. Doch auch die die letzte Stadtteilzeitung in NRW macht Ende September dicht. Dass dies mit dem RN-Aus zusammenhängt, räumt BZ-Verleger Kurt Bauer ein. Was bleibt ihm auch übrig: Bauer teilt sich nicht nur die Recklinghäuser Zeitung mit den RN (siehe oben), er lieferte ihr bis zur Einstellung auch den Gelsenkirchener Lokalteil.

Jährlich rund 320.000 Euro würden ihm deshalb künftig fehlen, sagte Bauer bei einem Arbeitsgerichtsprozess im Mai. Seinen Lesern schrieb er zudem, die BZ habe mit 7.200 Leserinnen und Lesern ihre „wirtschaftliche Daseinsberechtigung“ verloren. Die Mär vom klammen Verleger glauben dem Geschäftsmann aber die wenigsten. Zumal offizielle Zahlen belegen, dass die BZ immerhin gut 8.000 Leser zählt – plus Überläufer von den RN.

Durch Gelsenkirchen ging ein Aufschrei: Demonstrationen wurden organisiert, Unterschriften gesammelt, alles zum Erhalt der BZ. Und Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) äußerte einen Verdacht, den andere zunächst nicht auszusprechen wagten: „Die Vermutung liegt nahe, dass sich die Verlage das Ruhrgebiet aufgeteilt haben“, sagte Baranowski im April der taz – da war das ganze Ausmaß der Pressekonzentration noch gar nicht bekannt. Denn, wie in Gewerkschaftskreisen schon befürchtet, will sich nun auch die WAZ zurückziehen. Sieben Lokalteile im Kreis Recklinghausen werde man Anfang 2007 durch einen Regionalteil ersetzen, teilte WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz seinen Lesern unlängst mit. Man wolle „Kräfte bündeln“, „innovative Wege“ beschreiten, so der hartnäckige Blattmacher. Will meinen: Was lokal wichtig ist, rutscht ins Internet.

Print ist out. Jedenfalls bei der WAZ. Die Gewerkschaft Ver.di spricht von „Monopolzeitungsgebieten“, die im Pott geschaffen würden. Auch wollen immer weniger Politiker eine Flurbereinigung ausschließen. Die schon bestehenden Verbindungen der Verlage seien ein „starker Hinweis auf Absprachen“, sagt etwa die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Ulla Jelpke.

Im Klartext dient der WAZ-Rückzug nämlich zwei Verlegern, die in den Städten um Recklinghausen ohnehin die Oberhand haben. Es sind: RN-Verleger Lensing-Wolff und BZ-Chef Bauer, die damit rechnen können, dass WAZ-Leser auf ihre Blätter umsteigen werden. Es sei ein „Abschied auf Raten“, was die WAZ betreibe, so der Medienexperte Horst Röper. Das rieche nach einem Kompensationsgeschäft.

Wo einst im Revier zwei oder drei Lokalblätter konkurrierten, hält nun zumeist nur eine Zeitung das Monopol. Mehrere Meinungen? Passé. Deshalb soll nun eine kleine Anfrage der Linkspartei klären, wie die Bundesregierung zu den Absprache-Gerüchten steht.

Das Zeitungssterben in Nordrhein-Westfalen wird Bundesthema. Zum Glück: Denn von der NRW-Landesregierung ist wenig zu erwarten. Der scheidende Medienstaatssekretär Thomas Kemper lehnt jeden Kommentar zur „unternehmerischen Entscheidung“ der Verlage ab. Wie die Verlage: Bis auf die WAZ, die Absprachen dementiert, schweigen die Verleger bislang beharrlich.