Die Gurke im Tomatensalat

Passt die grüne Gurke zu rot-roten Tomaten? Die bündnisgrüne Fraktionschefin Künast denkt laut über eine rot-rot-grüne Koalition nach. Und setzt damit den unwilligen Landesverband unter Druck

von ULRICH SCHULTE

Die Notlösung hat einen denkbar schlechten Ruf. Niemand redet gerne über sie, weil das ja dem Eingeständnis gleichkäme, sich in einer Zwangslage zu befinden. Obwohl Renate Künast dies weiß, plädierte sie in einem Interview am Wochenende für eine rot-rot-grüne Koalition in Berlin – falls es nach der Wahl am 17. September rechnerisch nicht für Rot-Grün reicht. „Eine solche Dreierkonstellation ist nicht mein Wunsch, sondern wäre eine Notlösung“, so die Fraktionschefin der Bündnisgrünen.

Mit dem öffentlichen Gedankenspiel tut sie dem Landesverband keinen Gefallen. Denn Künast schneidet ein Thema an, das ihre ParteifreundInnen im Hauptstadt-Wahlkampf am liebsten vermeiden würden – obwohl sie intern sehr wohl darüber diskutieren. Fraktionschefin Sibyll Klotz erteilt dem Modell – mit leicht geänderter Farbfolge – jedenfalls keine Absage. „Ich würde Rot-Grün-Rot nicht ausschließen. Aber eine solche Lösung könnte nur tragfähig sein, wenn sie andere Schwerpunkte setzt, als es Rot-Rot tut.“ Als letzter Ausweg sei die linke Dreierkombi allemal besser als eine große Koalition, sagt Klotz. „Über eine solche in Berlin nachzudenken verbietet sich von selbst.“ Im Übrigen ist das Fazit der Fraktionschefin einfach: Die Debatte sei „hochgradig überflüssig“. Schließlich kämpfe man für Rot-Grün. Und nichts anderes.

Tatsächlich ereilt die von Künast vorgetragene Überlegung des Bundesverbands die Berliner Grünen zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt: Denn PDS und Grüne liefern sich gerade ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Wählergunst. Eine Emnid-Umfrage sah die PDS Anfang des Monats bei 14 Prozent, die Grünen bei 13 Prozent. Bisher könnte die SPD (34 Prozent) mit einem der beiden Partner knapp regieren. Doch wenn etwa die WASG die Fünfprozenthürde schafft oder die CDU noch zulegt, würden entscheidende Sitze im Parlament fehlen – die Notlösung müsste her.

Es ist dabei kein Zufall, dass zum wiederholten Mal eine Bundespolitikerin anregt, wie sich in Berlin ein Senat bilden ließe. Schließlich kann die Partei im Moment bundesweit keine einzige Beteiligung an einer Landesregierung vorweisen. Im Bund ist die Angst größer, endgültig in der Versenkung zu verschwinden als im oppositionsgewohnten Landesverband – auch wenn die hiesige Fraktionsspitze das vehement abstreitet. „Es gibt keinerlei Druck aus der Bundespartei, hier für die Regierungsmacht irgendwelche Zugeständnisse zu machen“, sagt Fraktionschef Volker Ratzmann.

Im Wahlkampfgetöse ist die Arbeit am kantigen Profil eben Pflicht. Doch der Parteienforscher Gero Neugebauer glaubt, dass die sich jetzt rebellisch gebenden Grünen für Senatssessel weit gehende Kompromisse machen würden. „Die Grünen in Berlin sind da so flexibel, dass manche gar nicht mehr von Verbiegen sprechen würden“, lästert er. Schließlich könnten sie sich im Land hinter dem allgegenwärtigen Sparzwang verstecken.

Neben inhaltlichen Kämpfen hätten die Grünen bei Rot-Rot-Grün zudem das Problem, Dritter im Bunde zu sein. Das in ungezählten Flurgesprächen eingespielte Team aus SPD und PDS könnte die Neulinge auflaufen lassen. „Die kennen sich, die haben fünf Jahre miteinander gearbeitet – da wären wir erst mal außen vor“, sagt Klotz.

Klar ist: Jedes Durchspielen von Konstellationen, ob Notlösung oder nicht, ist derzeit Spekulation. Auch ist völlig offen, ob PDS oder Grüne die Nase vorn haben werden. Die Umfragen seien Momentaufnahmen, der Wahltag noch zu weit weg, sagt Parteienforscher Neugebauer. Viele Wähler legten sich erst in der letzten Woche vor der Wahl fest. Folgerichtig setzen die Grünen jetzt, kurz vor der heißen Wahlkampfphase, nur auf sich selbst – und reden sich Mut zu. „Es gibt ein riesengroßes rot-grünes Wählerpotenzial in der Stadt“, sagt Ratzmann. „Wir werden keine Notlösung brauchen.“ Die Hoffnung ist eben vor allem eines: grün.