Zwischen Spaß und Ernst

Am Samstag zogen eine halbe Million Schwule und Lesben anlässlich des Christopher Street Day durch Berlin. Für einige von ihnen ist das zu Hause schwierig. Zwei Porträts von WALTRAUD SCHWAB

Tomasz Bączkowski

„Danke Warschau“ steht auf einem Transparent, das ein Schwuler auf der Christopher-Street-Day-Parade in Berlin trägt. Was dort passiert, zeige, was hier alles möglich sei, gar schon erreicht wurde und warum der CSD wichtig sei, erklärt er. Ähnliche Slogans sind überall auf dem CSD zu lesen. „Schön hier, aber waren Sie schon mal in Teheran, Moskau, Warschau?“ Tomasz Bączkowski drückt es anders aus: „Für euch ist der CSD Spaß, für uns ist er Ernst.“

Bączkowski lebt seit zehn Jahren in Berlin. Trotzdem hat er die „Parada równości“, den Warschauer CSD, organisiert. Nicht nur den von diesem Jahr, der dank europäischen Drucks und vieler Unterstützer und Unterstützerinnen aus dem Ausland am Ende mit 20.000 DemonstrantInnen den Gegenveranstaltungen von Nationalisten trotzen konnte. Auch den von letztem Jahr hat er organisiert. Jenen, der verboten blieb und von ein paar tausend Leuten dennoch durchgeführt wurde.

Darüber hinaus ist Bączkowski der Vorsitzende der Stiftung für Gleichberechtigung in Warschau. Zudem hat er die größte Schwulenorganisation Polens gegründet. „Bączkowski ist zu einem Helden der demokratischen Bewegung in Polen überhaupt geworden“, sagen die Veranstalter des Berliner CSD. Deshalb wurde der studierte Ökonom bei der Abschlussveranstaltung an der Siegessäule mit einem Zivilcourage-Sonderpreis geehrt.

„Ich bin ein schwuler Aktivist“, sagt der 33-Jährige. Geplant hatte er das nicht, es sei eben so gekommen. Denn wenn man in Berlin lebe, dann wolle man auch, dass die Freunde in Polen sich nicht verstecken müssen. Sein Heimatland liegt ihm am Herzen. Er nennt sich „polnischer Patriot“. Auch deshalb kann er es nicht akzeptieren, dass Politiker dort öffentlich sagen können, dass Homosexuelle Unkraut der Gesellschaft sind oder dass man Schwule mit Stöcken verprügeln kann. „Polen ist in der EU. Es gibt eine Menschenrechtscharta, die verabschiedet ist. Wie kann die EU das dulden?“, fragt er. In Polen werde Homosexualität nur in Verbindung mit Perversion gesehen. Schwul, pädophil und drogenabhängig – viele Leute würden das alles in einen Topf werfen, weil Politiker und Medien dieses Bild gern und mitunter bewusst zeichneten.

Durch sein öffentliches Auftreten ist Bączkowski ein geouteter Schwuler in Polen. Für einige ist er gar ein Medienstar. „Wir machen klar, dass Homosexuellenrechte Menschenrechte sind.“ Die Kehrseite: „Auf einer Internetseite der Nazis steht mein Name auf einer Liste der Leute, die eliminiert werden können“, berichtet er. Drohbriefe, schlimme E-Mails – so was kennt er auch. Als Aktivist sei er das gewöhnt, versuche damit umzugehen. Aber als er kurz vor dem Warschauer CSD dort einmal nachts allein im Büro war, einen Anruf bekam und ihm gesagt wurde: „Wir wissen, wo du bist, wir machen dich fertig“, kriegte er doch Angst.

Bąszkowski ist kein Draufgänger. Es ist nicht sein Wesen, den Protest zu suchen. Es sind die politischen Realitäten, die ihn zum Handeln zwingen. Das sei schon früher so gewesen. Nach der politischen Wende in Polen hat Bączkowski die Solidarność unterstützt. „Damals war das eine demokratische Bewegung.“

Während die Demokratie in Polen stehen geblieben ist, ist er einen Schritt weitergegangen.

Kasia Lachowicz

„Homophobie ist heilbar“ steht auf dem Festwagen mit der Startnummer 11. Unter den als Krankenschwestern, Pfleger oder Ärzte Verkleideten tanzen auch die Mitglieder der Gruppe „Toleranz auf Polnisch“.

Schwule und Lesben aus Polen sind das, die sich seit einem Jahr regelmäßig bei Maneo, dem schwulen Überfalltelefon, treffen und sich für die Verbesserung der Rechte Homosexueller in Polen engagieren. Denn das, was sie in Berlin leben dürfen, das würden sie gerne auch in Breslau oder Stettin, Krakau oder Danzig können. Kasia Lachowicz ist eine von ihnen. Ausgelassen tanzt sie auf dem Festwagen. Ihre Freundinnen, die extra aus Warschau angereist sind, auch. „Das ist so toll, dass man hier Hand in Hand gehen kann“, sagen sie.

Lachowicz war 17, als sie sich zum ersten Mal in eine Frau verliebte. Das Wort lesbisch kannte sie wohl. Aber es war ein Schimpfwort. Plötzlich steckte sie selbst mitten drin in diesem Widerspruch zwischen den eigenen Gefühlen und der tradierten Wahrnehmung. Auf der einen Seite stellte sie ihr Lesbischsein in Frage. Auch deshalb, weil sie sich nicht vorstellen konnte, später keine Kinder, keine Familie zu haben. Auf der anderen Seite machte es ihr Probleme, dass sie ihre Gefühle verstecken musste. „Wir haben ständig Schluss gemacht. Wir wussten gar nicht, wie lesbisch geht.“ Um aus dem Dilemma auszubrechen, ging sie als Au-pair-Mädchen nach Deutschland. In einer Talkshow, die sie damals sah, schenkte eine Frau ihrer Freundin eine Rose. Da habe es klick gemacht. „Warum laufe ich bloß vor mir weg?“

Danach begann sie Betriebswirtschaftslehre in Posen zu studieren. Ein Auslandssemester in Berlin war eingeplant. Daraus wurden mehrere. Vier Jahre ist sie jetzt schon hier. Die Normalität, mit der man sich in Berlin als lesbische Frau zeigen darf, das hat sie für die Stadt eingenommen. „In Deutschland bin ich selbstbewusster geworden, was mein Lesbischsein angeht.“

Trotzdem weiß sie nicht, ob sie bleiben will. Sie liebt ihre Heimat, auch wenn sie sich – ihr Großvater war Deutscher – einen deutschen Pass besorgt hat. „Ich kann hier frei leben, aber 80 Kilometer weiter geht das so nicht. Dann denke ich, ich hab’ doch eine Verantwortung.“ Sie fährt oft nach Posen. Dort gefällt es ihr. „Dann gucke ich in die Zeitung und denke: Was für ein Mist. Ich will mich nicht verstecken müssen.“

Lachowicz ist eine offene Frau. Eine, die andere mit ihrer Lebenslust anstecken kann. Sie geht davon aus, dass sich die Situation in Polen irgendwann ändern wird. „Aber wie lange wird das dauern?“

Dass sie heute zur Veränderung mit beiträgt, überrascht sie etwas. „Für Politik hab’ ich mich früher nicht interessiert.“ Bis sie vor einem Jahr auf die Gruppe „Toleranz auf Polnisch“ stieß. Jetzt findet sie die politische Seite spannend, weil sie selbst betroffen ist. Sie hat an einer Demo vor der polnischen Botschaft teilgenommen, hat Unterschriften gesammelt, die an die EU geschickt wurden, war beim Warschauer CSD dabei. Sie spürt dem Beklemmenden von dort in der Leichtigkeit auf dem Berliner CSD nach. Die Schwulen in Polen sollten wissen, dass es sich lohne, für ihre Rechte zu kämpfen, meint sie. „Denn zu sich selbst nicht zu stehen, ist das Schlimmste, was einem passieren kann.“