„Der Fluss ist der dritte Hauptdarsteller“

Der Norden auf dem Münchner Filmfest II: In seinem Roadmovie „Elbe“ erzählt der Berliner Regisseur Marco Mittelstaedt von zwei arbeitslosen Flussschiffern, die sich auf den Weg nach Hamburg machen. Der Fluss, sagt er, hat den Rhythmus des Filmes vorgegeben

taz: Vor Ihrem Studium an der Berliner Filmhochschule waren Sie Filmvorführer. Welcher Film hat Sie am meisten geprägt?

Marco Mittelstaedt: Es gibt einen Film, der mich schon als Jungen sehr beeindruckt hat. Ich komme ja aus der DDR und mein Vater hatte das Privileg, in den Westen fahren zu dürfen. Von dort hat er in den 80er Jahren einen Videorekorder mitgenommen und eine leere Kassette. An diesem Abend lief gerade „Paris, Texas“ von Wim Wenders im Fernsehen. Ich habe mit diesem Film den Videorekorder ausprobiert und habe ihn immer wieder angesehen. Er hat mich vor allem wegen seiner großen Langsamkeit fasziniert. Man hat ganz viel Zeit, die Emotionen der Figuren mitzuerleben. Schon mit 12, 13 Jahren habe ich gemerkt: Das ist etwas anderes als das, was ich bisher gesehen habe.

Diese Langsamkeit kennzeichnet auch Ihren Film „Elbe“.

Wir haben diese Filmsprache ganz bewusst gewählt, weil wir den Rhythmus des Flusses annehmen wollten. Der Fluss ist der dritte Hauptdarsteller im Film. Wir haben uns sehr genau mit dem Verlauf der Elbe beschäftigt und versucht, Landschaften zu finden, die der Stimmung der beiden Hauptfiguren entsprechen. Kowski und Gero sind beide auf der Suche, reflektieren, denken über sich und ihr Leben nach. Daraus hätte man keinen schnellen Film machen können.

Kowski und Gero verlieren ihre Arbeit als Flussschiffer und fahren auf der Elbe Richtung Hamburg. Was war für Sie das Hauptthema des Films?

Das Thema ist in erster Linie die Freundschaft zwischen den beiden Männern. Sie haben lange zusammengearbeitet ohne wirklich viel voneinander zu wissen. Diese neue Lebenssituation der Arbeitslosigkeit wirft beide auf sich selbst zurück, aber sie erfahren auch Geheimnisse vom anderen, die sie vorher nicht wussten. Außerdem geht es viel um das Thema Familie: Kowski hat eine, die aber kaputt ist, Gero hat keine und große Sehnsucht danach.

Was macht Ihrer Ansicht nach die Freundschaft zwischen Gero und Kowski aus?

Kowski ist ein getriebener, unruhiger Mensch, der immer auf der Suche ist und sich mit Tricks und Gaunereien durchs Leben schlägt. Man spürt, dass er einen Anker braucht. Den findet er in dem introvertierten Gero, der in seinem Boot fast so sitzt wie ein Stein. Andersherum kann Kowski Gero aus seiner Lethargie herausreißen. Ich glaube, dass sich die beiden gut ergänzen. So wie es in vielen Freundschaften ist.

„Elbe“ spielt zum großen Teil auf dem Fluss. Waren die Dreharbeiten schwierig?

Wir haben die Reise der beiden Hauptdarsteller auf der Elbe auch als Filmteam mitgemacht. In 20 Tagen haben wir über 70 Drehorte abgefahren. Das war für alle eine große physische Belastung – aber auch ein großes Abenteuer.

Interview Carolin Ströbele