Libanons Wirtschaft auf Jahre ausgeschaltet

Israels Angriffe haben die libanesische Wirtschaft schwer getroffen. Die Wachstumsbranchen Tourismus und Finanzwirtschaft sind nachhaltig erschüttert: Niemand weiß, wann sich die Region stabilisiert

BERLIN taz ■ „Wird werden den Libanon um zwanzig Jahre zurückwerfen“, hatte der israelische Stabschef Dan Halutz zu Beginn des Krieges gedroht. Nach zwei Wochen Dauerbombardement scheint der General seine Ankündigung wahr gemacht zu haben. Große Teile der libanesischen Infrastruktur liegen in Schutt und Asche – und mit ihr auch die Wirtschaft.

Nahezu alle Brücken wurden bombardiert, etwa 80 Prozent der Hauptstraßen des Landes sind unbrauchbar. Flug- und Seehäfen, Raffinerien, Kraftwerke und Telekommunikationseinrichtungen wurden zerstört. Auch Produktionsstätten wie Textil- und Papierfabriken wurden vernichtet.

„Die unmittelbaren Zerstörungen übersteigen schon jetzt mehrere Milliarden Dollar“, sagte der libanesische Finanzminister Jihad Azour. Die libanesische Zeitung L’Orient de Jour veröffentlichte gestern erste offizielle Zahlen. Demnach beziffert der libanesische Rat für Entwicklung und Wiederaufbau die unmittelbaren materiellen Schäden etwa 2,07 Milliarden Dollar. Bis zum vergangenen Montag wurden durch die israelischen Angriffe Infrastruktur im Wert von 721 Millionen Dollar, Wohnungen für 953 Millionen Dollar und Fabriken im Wert von 180 Millionen Dollar zerstört. Nicht mit eingerechnet sind 1,4 Milliarden Dollar geschätzte Einbußen durch den Einbruch im Tourismussektor sowie Steuerausfälle von 600 Millionen Dollar.

„Die Kriegsführung zielt darauf ab, die libanesische Ökonomie massiv zu zerstören und damit eine Kollektivbestrafung für den Libanon insgesamt zu verhängen“, sagt der Islamwissenschaftler und Nahostexperte Michael Lüders. Auch der Freiburger Politologe Theodor Hanf glaubt, das Israel sein politisches Ziel, die Hisbollah durch die Angriffe zu schwächen, verfehlt: „Viele moderate Libanesen sind so empört von den Angriffen, dass das Ansehen der Hisbollah davon profitiert.“

1991 war der Libanon schon einmal in einer ähnlich schwierigen Lage. Damals begann der Wiederaufbau des nach 15 Jahren Bürgerkrieg zerstörten Landes. 50 Milliarden Dollar sind seitdem in die Wiedergeburt der „Schweiz des Nahen Ostens“ geflossen. Diese Investitionen scheinen nun zum großen Teil verloren. „Der größte Teil wurde über Kredite finanziert“, sagt Theodor Hanf. Das hat die Staatsverschuldung auf den Rekordstand von 174 Prozent des jährlichen Bruttosozialprodukts hoch getrieben. Es betrug 2005 24 Milliarden US-Dollar. Mit der Zerstörung verliert das Land auch eine seiner wichtigsten Einnahmequellen, den Tourismus.

Er trug 15 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Erst vor fünf Jahren war es dem Land gelungen, wieder so viele Touristen wie in den frühen 70er-Jahren anzulocken. 1,6 Millionen sollten es in diesem Jahr werden. Vor allem wohlhabende arabische Urlauber zog das florierende Beirut mit seinen vielen Hotels, Restaurants und Klubs an. Sie gaben im Schnitt 6.000 bis 8.000 Dollar während eines Libanonurlaubs aus und kauften auch gern Immobilien: Allein eine Milliarde US-Dollar investierten sie in diesem Jahr im Libanon. Auch die Finanzindustrie ist gelähmt, die Beiruter Börse seit zwei Wochen geschlossen. „Eine Kapitalflucht ist wahrscheinlich“, sagt Theodor Hanf.

Israel profitiert von der Zerstörung der libanesischen Infrastruktur auch wirtschaftlich. „Der Libanon ist aus wirtschaftlicher Hinsicht ein großer Konkurrent für Israel“, sagt Michael Lüders. Durch den Krieg habe man diesen Konkurrenten auf Jahre ausgeschaltet. Zusätzlich muss das Land nun für die Kriegsopfer in der Bevölkerung eine Lösung finden: „Die gefährlichste Problem ist, was mit den 500.000 Flüchtlingen passiert“, sagt Theodor Hanf: „Das ist eine Zeitbombe.“

Noch ist es fraglich, ob den Libanesen der erneute Wiederaufbau so gut gelingen wird wie beim letzten Mal. Denn größer als die materiellen Schäden sind die psychologischen. Niemand kann ausschließen, dass Israel den Libanon bald wieder angreift. „Mit dem Klima der Unsicherheit wird Libanon auf lange Zeit für ausländische Investoren unattraktiv sein“, sagt Michael Lüders. Internationale Geldgeber wie die Rating Agentur Standard & Poor’s stuften die Kreditwürdigkeit des Landes bereits herab. Solange es keine politischen Perspektiven für den Libanon gibt, werden auch die Aussichten der libanesischen Wirtschaft trüb bleiben. TARIK AHMIA