Allah baut jetzt in Heinersdorf

AUS BERLIN TORSTEN GELLNER

Wären sie nur ein paar Kilometer südlich fündig geworden, der ganze Ärger, die Erregungen, Entgleisungen, Ängste, Drohungen, Rücktritte, Nazi-Aufmärsche – all das hätte es vermutlich nicht gegeben. Im Süden des Stadtbezirks Pankow feiert sich das junge, weltoffene Berlin mit seinem multikulturellen Prenzlauer Berg. Im Norden dagegen weht ein dörflicher Wind. Hier liegt Heinersdorf mit seinen etwa 6.000 Einwohnern. Ausgerechnet hier, wo es mehr Gebrauchtwagenhändler als Migranten zu geben scheint, sind sie fündig geworden. Hier hat die Berliner Ahmadiyya-Muslim-Gemeinde ein Grundstück gekauft, um darauf eine Moschee zu bauen. Die erste Moschee im Osten Berlins. Eine Premiere, die viele Heinersdorfer zu verhindern suchen.

Anfang März erfuhren die Heinersdorfer aus der Zeitung, dass die zweistöckige Moschee gebaut werden soll. Auf der 4.000 Quadratmeter großen Brache in der Tiniusstraße soll ein zwölf Meter hohes Minarett in den Himmel wachsen. Sofort formierte sich breiter Widerstand gegen das religiöse Bauvorhaben – mit einer Wucht und Ausdauer, die viele, auch die Heinersdorfer selbst, überrascht hat.

Seit die Bezirksverwaltung grünes Licht für den Bau gegeben hat, könnte man meinen, an der Tiniusstraße werde kein Gotteshaus, sondern ein Al-Qaida- Camp errichtet, so laut wird geschimpft, demonstriert, auch gedroht. Die Moschee werde brennen, zischte es bei der Verwaltung aus dem Telefonhörer, und: „Wir werden den Bau zu verhindern wissen.“

Noch ist nichts gebaut. Damit das so bleibt, hat sich ein merkwürdiges Bündnis formiert. Die NPD hat in der Anfangsphase des Protests halb Heinersdorf mit Anti-Moschee-Aufklebern tapeziert. Eine Bürgerinitiative, die Interessengemeinschaft Pankow-Heinersdorfer Bürger (Ipahb), hat sich gegründet und mehr als 6.000 Unterschriften gegen das Gotteshaus gesammelt. Sie erfährt seelische, teils auch personelle Unterstützung durch die CDU, die im Heinersdorfer Volkszorn eine gute Plattform für die anstehenden Abgeordnetenhauswahlen im September vermutet.

Die Anhänger der Bürgerinitiative befürchten, dass die bauwilligen Ahmadis den Ortsteil sozial und moralisch ins Mittelalter zurückkatapultieren und einen Kalifatstaat auf deutschem Boden errichten wollen. Erst dürfen Jungs und Mädels nicht mehr gemeinsam schulturnen, dann Heinersdorfer und Heinersdorferinnen nicht mehr gemeinsam ins Freibad, unkt es von der Homepage der Moscheegegner. Und „am Ende der Entwicklung, die wahrscheinlich schon auf Jahrzehnte im voraus geplant ist, folgt die Etablierung einer Ahmadiyya-islamischen Parallelgesellschaft mit dem Ziel, unsere freiheitlich-demokratische Rechtsordnung zu stürzen“.

„Diese Zeiten sind vorbei“

Mustafa Bauch ist so einer, der die bestehende Rechtsordnung stürzen können soll – ein Ahmadiyya-Mitglied. Er sitzt im Büro, trägt Turban und Kaftan und erklärt seine Religion. Es ist auch eine Selbstverteidigung. Während er über Kopftücher, Sexualmoral und die Vorbehalte der Heinersdorfer spricht, donnern Flugzeuge über das kleine Einfamilienhaus hinweg, in dem die Ahmadis eine Behelfsmoschee betreiben. Seit 18 Jahren beten sie hier im Westberliner Bezirk Reinickendorf, die Landebahn des Flughafens Tegel in Sicht-, aber vor allem Hörweite.

„Dass wir die Scharia einführen und einen Kalifatstaat errichten wollen, ist Unsinn“, beteuert Mustafa Bauch. „Wir bestehen auf der strikten Trennung von Staat und Religion.“ Für die Bestrafung sittlicher Verfehlung sei nicht das islamische Recht zuständig, sondern Allah. Und das Kopftuch trügen die Muslima freiwillig. „Ich kenne einige, die es nicht tragen“, sagt Bauch. Und, warum ausgerechnet Heinersdorf, wo es kaum Muslime, geschweige denn Ahmadiyya gibt? „Unsere Mitglieder leben über die ganze Stadt verteilt“, sagt er. „Seit zehn Jahren suchen wir nach einem Grundstück für eine größere Moschee, Heinersdorf war einfach ein Zufallsfund.“

Mustafa Bauch hieß früher Stefan. Der Berliner konvertierte 1992 zum Islam. Dass er, der ehemalige Bummelstudent mit Hang zu schönen Frauen und bewusstseinserweiternden Substanzen, bei der konservativen Ahmadiyya-Gemeinde gelandet ist, war Zufall. Nach einem Autounfall und einer Woche im Koma hatte Bauch Anfang der 90er-Jahre die Zelte in Deutschland abgebrochen. Seine „Gier“, wie er es nennt, sei plötzlich weg gewesen und an ihre Stelle ein spirituelles Verlangen getreten. Stefan Bauch suchte. Erst in Portugal, dann in Marokko. Dort fiel ihm eine Koranausgabe in die Hände, zufällig in der Ahmadiyya-Übersetzung. Ein paar Jahre später, wieder zurück in Berlin, erfuhr er, dass die Berliner Ahmadis gleich um die Ecke beteten. Seither ist er dabei.

Die Ahmadis verstehen sich als Reformer des Islams. Sie sind daher bei vielen Muslimen nicht gut gelitten, gelten als Abtrünnige. Die Ahmadis sind äußerst konservativ, werden allerdings von den meisten Islamwissenschaftlern und vom Verfassungsschutz als friedlich und harmlos eingeschätzt. Das mag auch an ihrer Größe liegen. In Berlin haben sie nach eigenen Aussagen gerade 200 Mitglieder. In ganz Deutschland etwa 60.000.

Die Ahmadiyya-Übersetzung des Korans sei die schönste, sagt Bauch mit leuchtenden Augen. „Ein geniales Buch, eine Gebrauchsanweisung für das Leben.“ Er zieht einen ungewöhnlichen Vergleich: „Das ist wie bei einem Handy. Wenn ich nur damit telefonieren will, brauche ich keine Gebrauchsanweisung. Aber wer die Anleitung liest, lernt, wie viel mehr man damit anfangen kann.“ Bauch wirkt wie ein PR-Manager seiner Religion.

Andreas Kaehler ist auch so ein PR-Mann. Eigentlich ist er Pfarrer in Heinersdorf, aber er vertritt heute „seine Leute“, versucht eine Erklärung für deren massiven Widerstand. Er sitzt im Garten, die schmucke Dorfkirche im Rücken, ein mächtiger Obstbaum spendet Schatten an diesem heißen Julitag. Heinersdorf ist trotz der lärmenden Ausfallstraßen, Discounter und Gebrauchtwagenhändler ein Dorf geblieben. Man gehört zu Berlin, irgendwie. „Heinersdorf fühlt sich als vernachlässigter Bezirk“, sagt Kaehler. Daher der Zusammenhalt, der Gläubige und Ungläubige zusammenrücken lasse, gerade in Zeiten, in denen das Minarett droht. „Das hat etwas mit der DDR-Vergangenheit zu tun“, sagt er und versucht zu erklären: „Die Ostberliner wollen sich nichts mehr von oben aufstülpen lassen, diese Zeiten sind vorbei.“

„Haut ab! Haut ab!“

Am 30. März war es fast wie früher. Die Bezirksverwaltung hatte zu einer Bürgerversammlung eingeladen, man wollte über die geplante Moschee informieren, auch die Bauherren wollten sich vorstellen. Dazu kam es nicht. Viel zu viele Menschen fanden keinen Platz im überfüllten Veranstaltungssaal. Da war es wieder, das Gefühl, nicht ernst genommen, von der Politik übergangen zu werden. Als die Polizei die Veranstaltung aus Sicherheitsgründen abbrach, kippte die ohnehin aggressive Stimmung. Fäuste wurden geschüttelt, Politiker beschimpft, rassistische Ressentiments rausgelassen. Von Kanacken und Kameltreibern war die Rede, Ehrenmorde wurden prophezeit, Zustände wie an der kurz zuvor in die Schlagzeilen geratenen Neuköllner Rütli-Schule heraufbeschworen. Soweit dürfe es in Heinersdorf nicht kommen, war zu hören.

Dann erinnerten sich die Heinersdorfer an etwas: „Wir sind das Volk!“, skandierten sie. Und als die Vertreter der Ahmadiyya-Gemeinde von der Polizei durch die Menge eskortiert wurden, wechselten die Rufe zum kollektiven „Haut ab! Haut ab!“

Neunzig Prozent, schätzt Pfarrer Kaehler, sind gegen die Moschee. „Ich kenne nur drei, vier Leute, die dafür sind.“ Er selbst will sich nicht positionieren, er sei Vermittler zwischen den Fronten. Dann sagt er doch: „Ich kann als evangelischer Pfarrer kein Befürworter dieser Moschee sein.“ Er ist also gegen die Moschee? Der bis dahin ruhige Mann mit dem Vollbart wird hellwach, seine Augen funkeln. „Nein“, sagt er bestimmt. „Es ist ein Unterschied, ob man nicht für etwas ist oder gegen etwas ist.“

Kaehler wirkt gereizt, man könnte auch sagen, vorsichtig. Auch an ihm sind die Ereignisse der letzten Monate nicht spurlos vorübergegangen. Er wurde von Moschee-Befürwortern als Hetzer bezeichnet. Er sagt, er sei falsch zitiert, von der Presse falsch dargestellt worden. Das will er künftig vermeiden. Und so mag er auch nur wenig von dem, was er sagt, später in der Zeitung lesen. Zum Abschied überreicht er ein paar Artikel, die sein Wohlwollen gefunden haben. Sie sind wohl als Anregung gedacht.

Die Rechten immer dabei

Auch die Moscheegegner aus den Reihen der Bürgerinitiative sind auf die Presse nicht gut zu sprechen, sie fühlen sich zu Unrecht mit den Nazis in einen Topf geworfen und distanzieren sich vehement von allen radikalen Kräften. Für das Antifa-Bündnis „Kritik und Praxis Berlin“ sind das nur Lippenbekenntnisse. „Es gibt einen klammheimlichen rassistischen Konsens, der alle Moscheegegner in Pankow eint“, sagt ihr Sprecher Florian Ehrenreich. Gibt es ihn wirklich? Zumindest gab es Begegnungen der besonderen Art zwischen der bürgerlichen Mitte und dem äußersten rechten Rand.

Etwa dieses Pankower CDU-Mitglied, immerhin Schatzmeister, der einer NPD-Demo beiwohnte, um seinen Protest gegen die Moschee öffentlich zu machen. Als das zu öffentlich wurde, nahm er seinen Hut. Sein Kreisvorsitzender René Stadtkewitz verurteilte die ominöse Protestbekundung aufs schärfste.

Doch hat auch er bisweilen Probleme, sich von den Rechten zu distanzieren. Auf einer Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung stand Stadtkewitz ganz in der Nähe von pöbelnden Rechtsradikalen, deren Provokationen ihn offenbar nicht störten. Nach der Veranstaltung wurden die Jungrechten dann von Heinersdorfern, die sich der bürgerlichen Mitte zurechnen, gegen Nazi-Vorwürfe verteidigt. Es sei doch typisch, hieß es: sobald man etwas gegen die Moschee sage, werde man in die rechte Ecke gestellt.

Das Minarett von Heinersdorf, es wird kaum mehr zu verhindern sein. Das Bezirksamt hat erklärt, dass es gar keinen „politischen Entscheidungsspielraum“ habe, der Bauantrag sei ausschließlich auf der Grundlage des Baurechts zu bewerten. Da die Voranfrage bereits positiv beschieden ist, können nur noch die Bauherren selbst die erste Moschee im Osten Berlins verhindern. Vielleicht sind die jüngst gestreuten Gerüchte, die Ahmadiyya habe sich doch für ein anderes Grundstück entschieden, ein letztes Aufbäumen gegen diese Gewissheit.

„Wir werden und wir müssen in Heinersdorf bauen“, bekräftigt Hadayatullah Hübsch, der früher einmal Paul-Gerhard Hübsch hieß, Mitglied der Kommune 1 war und heute Pressesprecher der Ahmadis ist. „Wenn wir Heinersdorf aufgeben, haben die Rechten gewonnen.“