Zwischen den Rillen
: Große Klappe, was dahinter

England hat eine neue Popsensation: Die Londonerin Lily Allen macht mit ihrem Debüt „Alright, Still“ auf dicken Rock

Man muss ja vorsichtig sein, wann man eine popkulturelle Großtendenz ausruft. Aber wenn man so etwas wie eine Mode in vermutlich Sachen „Popstars zerlegen Zimmer“ erkennen mag, dann die, dass es immer weniger Hotelzimmer trifft. Es müssen – zumindest im Videoclip – vor allem die Wohnungen der ehemaligen Liebespartner dran glauben. Als Erster fackelte Michi Beck von den Fantastischen Vier in „Sie ist weg“ die gemeinsame Fabriketagenwohnung ab. Im letzten Jahr sang „American-Idol“-Gewinnerin Kelly Clarkson in ihrem Grammy-prämierten Song „Since U Been Gone“ die tolle Zeile „I’m so moving on, yeah, yeah“ („Ich habe die ganze Sache so was von hinter mir gelassen, ja, ja“), während sie sich im dazu gehörigen Videoclip hübsch selbst widerlegte, indem sie auf der Einrichtung ihres Ex-Liebhabers herumsprang.

Wie man als Popstar Liebeskummer und Zerstörungswut ausleben und dabei Stilbewusstsein zeigen kann, zeigt aber erst die englische Sängerin Lily Allen in dem Clip zu ihrer Debüt-Single „Smile“ (zu sehen auf www.lilyallenmusic.com). Sie bezahlt eine Straßengang dafür, ihren Ex zu vermöbeln und seine Wohnung zu zerstören. Was diese sehr gründlich tut. Die ultimative Erniedrigung kommt am Ende: Der gekaufte Mob hat auch die Plattensammlung zerkratzt. Der Hipster-Ex ist ein DJ, und als später im Club beim Auflegen die Nadel springt, ist er endgültig erledigt. „At first, when I see you cry, yeah, it makes me smile, yeah, it makes me smile.“

Selten hat es so viel Spaß gemacht, sich bei einer Newcomerin vor allem mit der Inszenierung ihrer Musik zu beschäftigen, wie bei Lily Allen. Das liegt leider auch daran, dass die 21-Jährige auf ihrem Debütalbum eher belanglose Reggae- und Ska-Beats versammelt hat. Außer „Smile“, das Stück, mit dem sie auch zwei Wochen an der Spitze der britischen Single-Charts stand, und „Littlest Things“ mit ihren zäh tropfenden Klaviereinsätzen kann man die elf Stücke von „Alright, Still …“ musikalisch eher vergessen. Doch dann sind da die wunderbaren Texte, für die wird Allen in Großbritannien völlig zu Recht als Popsensation des Sommers gefeiert.

Mit dem popkulturellen Hintergrund einer Tochter, die eine Filmproduzentin und einen Comedian als Eltern hat, und der Verschlagenheit eines Mädchens, das auf 13 verschiedenen Schulen war und mehrfach rausgeschmissen wurde, streift Lily Allen durch London und singt über Zuhälter („LDN“) und Zicken im Club („Friday Night“). Mit der Stadt und speziell ihrem Nachtleben als assoziativem Rahmen erinnert Allen an Mike Skinners „The Streets“, und wie Skinner legt sie bei ihrem Sprechgesang wenig wert auf Flow. Fast beiläufig, so als würde sie vorm Spiegel stehen und beim Auftragen ihres zentimeterdicken, neonfarbenen Lidstrichs von der vergangenen Nacht erzählen, breitet Allen ihre Geschichten aus.

Wichtigster Unterschied zu Skinner, der mittlerweile über den „War of the Sexes“ singt, ist aber: Allens Blick auf London ist explizit weiblich. Den Türstehern der Stadt raunzt sie entgegen, dass sie sich von ihnen nicht einschüchtern lässt. Wer nach ihrer Nummer fragt, wird mit dem Satz „Geht nicht, hab mein Handy verloren“ abgespeist. Lily Allen macht eine auf dicken Rock – und das nicht nur in ihren Texten. In Interviews und ihrem Blog gibt sie regelmäßig Promis wie David Beckham oder Carl Barat (Ex-Libertines) einen mit.

Bei aller Krawall-Pose hat Allen dennoch Frauenzeitschriften-Appeal. Mit ihren grellbunten Cocktail-Kleidern und dem riesigen Modeschmuck sieht sie aus wie Mutters Kleiderschrank und Schminktasche entsprungen. Doch selbst das nimmt man ihr lieber als anderen Popsternchen ab. „Like a Kelly Osbourne gone right“, schrieb der Observer.

Im richtigen Leben ist Allen übrigens in dem Club, den ihr Exfreund betreibt, aufgetreten. Als Star-Gast, versteht sich.

Lily Allen: „Alright, Still“ (EMI)