Französische AKWs spucken Legionellen

Die Konzentration der gefährlichen Bakterien in den Kühltürmen der Atomkraftwerke überschreitet die geltenden Grenzwerte ganz legal – und bis zu 5.000-fach. Die AKW-Betreiber nehmen eine Gefährdung der Anwohner in Kauf, warnen Atomgegner

aus Paris RUDOLF BALMER

Die französischen Atomkraftwerkbetreiber riskieren die Gesundheit der Menschen in der Umgebung der Anlagen. Und zwar nicht wegen des Einsatzes von nuklearem Material, sondern mit Bakterien – den Legionellen. Diese können die vor allem für ältere und geschwächte Menschen gefährliche Legionärskrankheit auslösen. Im Umfeld des AKW Cattenom sind auch die Nachbarn im Saarland jenseits der Grenze gefährdet. Die grüne Europa-Abgeordnete Hiltrud Breyer will nun eine Dringlichkeitsanfrage im Europaparlament stellen.

Bekannt geworden war das Problem nach einer Untersuchung der Atomaufsichtsbehörde Afsset zur Konzentration an Legionellen-Bakterien in den Kühltürmen von elf der neunzehn AKW-Anlagen in Frankreich. Die Experten kamen zu dem Schluss, dass die bisherigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Bakterien ungenügend seien. Die Argumentation der AKW-Betreiberin Électricité de France (EDF), es bestehe keine Gefahr für die Anwohner, überzeugte die Behörde für Gesundheit, Umwelt und Arbeit nicht. Die Öffentlichkeit erfuhr dabei, dass die EDF-Kühlanlagen eine Konzentration von 5 Millionen Keimen pro Liter aufweisen dürfen – 500- bis 5.000-mal mehr, als die Schwellenwerte sonst für die Industrie erlauben.

Die Ausnahme für die Kühltürme wird damit begründet, dass sie 150 Meter hoch sind und die Konzentration der Keime in den unmittelbaren Niederschlägen aus den Dampfemissionen niedriger ist, weil sie sich weiter verteilen. Das ist jedoch bloß eine Hypothese, die nach Meinung der Gesundheitsexperten noch zu wenig erhärtet wurde.

Bisher, beteuern die EDF-Verantwortlichen, habe es in der Umgebung der betroffenen AKWs nie eine Legionellose-Epidemie gegeben. Die Afsset mahnt dennoch zu Vorsicht.

Breyer will mit ihrem Vorstoß erreichen, dass die Bevölkerung über die mit dem Wasserdampf in die Umwelt ausgestoßenen Keime informiert wird. Und dass die zulässigen Maximalwerte für die Konzentration in den Kühlsystemen überprüft werden. Die Atomkraftgegner von Sortir du nucléaire haben die Bevölkerung aufgefordert, vor Gericht einstweilige Verfügungen gegen den Weiterbetrieb zu beantragen.

In Cattenom arbeite man an neuen Desinfektionsmethoden, versichert AKW-Direktor Philippe Gaestel. Die traditionellen Mittel seien ungeeignet, weil eines der Hauptbestandteile umweltschädliches Chlor ist.

Die schwerste Legionellen-Epidemie in Frankreich ereignete sich 2003, als rund um die nordfranzösische Stadt Lens 86 Menschen an Legionellose erkrankten, 17 von ihnen starben. Als mutmaßlicher Herd der Keime gilt ein Kühlturm einer benachbarten Industrieanlage.

Zur Debatte steht nun, weshalb Frankreich den Interessen der Atomindustrie Priorität vor der Prävention von Umwelt- und Gesundheitsrisiken einräumt. Diese Frage stellten die Umweltschützer auch, als den nuklearen EDF-Kraftwerken zuletzt erlaubt wurde, zu heißes Kühlwasser in die Flüsse abzuleiten.