Die Reform der Reform

Nach den Ferien müssen Deutschlands Schüler wieder umdenken: Ab heute wird die in einzelnen Punkten revidierte Rechtschreibreform Grundlage ihres Unterrichtes

VON SASCHA TEGTMEIER

„Dass“ bleibt „dass“ und „Fluss“ bleibt „Fluss“ – und so wird es wohl den meisten gar nicht auffallen: Ab heute gelten neue Rechtschreibregeln. Dies mag manchem wie ein Déja-vu vorkommen, denn genau vor acht Jahren trat die lang umkämpfte Rechtschreibreform in Kraft. Am bekanntesten und auffälligsten daran sind eben die Änderungen, wo ß zu ss wurde.

Die jetzige Reform ist eine Reform der 1998er-Reform. Vor allem aber ist sie ein Schritt zurück. Nach jahrelangem Hickhack um Getrennt- und Zusammenschreibung, Groß- und Kleinschreibung sowie Zeichensetzung und Worttrennung wurden die größten Streitfälle umschifft: Nun sind in vielen Fällen beide Schreibweisen möglich. So darf man etwa „kennenlernen“ wieder – wie vor 1998 – zusammenschreiben. Man darf es aber auch weiterhin getrennt schreiben.

Um zu diesem Ergebnis zu kommen, wurde eigens der „Rat für deutsche Rechtschreibung“ ins Leben gerufen. Dessen Empfehlungen aus dem vergangenen Jahr wurden im Februar von der Kultusministerkonferenz (KMK) beschlossen. Vor allem für Lehrer und Schüler wird es schwer, sich nach den Sommerferien auf das neue Regelwerk einzustellen – sind doch die meisten Schulbücher in der Orthografie von 1998 verfasst. Wie sollen die Lehrer und Lehrerinnen die erneuten Änderungen vermitteln?

Der stellvertretenden Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marianne Demmer, bereitet das keine Kopfschmerzen. „Die Lehrer sind nach zehn Jahren in hohem Maße trainiert, sehr souverän auf jede Wendung der Rechtschreibreform zu reagieren“, sagte sie der taz. Die jetzigen Veränderungen seien doch vergleichsweise „Peanuts“.

Eine Gymnasiallehrerin aus Hamburg, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist dagegen durch die Neuerungen verunsichert: „Oft fragen mich Schüler, warum schon wieder eine Änderung kommt. Dann kann ich meist keine gute Antwort geben“, klagt sie. Das Problem ist vor allem das Hin und Her: „Wie soll ich erklären, warum Du und Ihr erst jahrelang großgeschrieben, dann klein- und jetzt doch wieder großgeschrieben werden muss?“

In Berlin ist zu diesem Zweck bereits eine Informationsbroschüre mit dem Titel „Deutsche Orthografie“ in Arbeit. Laut dem Sprecher des Schulsenats, Kenneth Frisse, soll das Heftchen zu Beginn des Schuljahres an die Lehrer verteilt werden. Ansonsten vertraut der Senat darauf, dass die Lehrer sich mit den Informationen des Deutschen Rechtschreibrates weiterbilden.

Den Schülern dürfte schwer zu vermitteln sein, dass es nun eine ganze Reihe von möglichen Schreibvarianten geben wird. Im neuen Duden, der vor einer Woche erschienen ist, sind es rund 3.000. Angesichts dessen hat sich die Duden-Redaktion erstmals in ihrer 125-jährigen Geschichte dazu entschieden, Schreibempfehlungen abzugeben. Sie sonnen eine Hilfestellung sein „für alle diejenigen …, die ohne großen Aufwand in ihren Texten einheitlich schreiben möchten“, heißt es in dem Vorwort. Ausschlaggebend für die Auswahl sind laut Redaktionsleiter Matthias Wermke „der tatsächliche Sprachgebrauch“, ein „optimales Textverständnis“ und das „Bedürfnis nach einer möglichst einfachen Handhabung der Rechtschreibung“.

Der Vorsitzende des Rates für deutsche Rechtschreibung, Hans Zehetmair, ärgert sich, dass es die Duden-Empfehlungen überhaupt gibt. Die Arbeit des Rates würde dadurch unterlaufen. Und außerdem habe er den Eindruck, dass „der Duden-Verlag den Versuch unternimmt, sich bewusst abzusetzen, um seinen Monopolanspruch geltend zu machen“. Im Konkurrenzwerk „Wahrig“, das auf Empfehlungen verzichtet, hat Zehetmair das Geleitwort geschrieben.

Geradezu zum Sinnbild für die Frage der Varianten ist der Ausdruck „sitzenbleiben“ geworden. Nun darf er wieder zusammen oder getrennt geschrieben werden – ein Wort soll man laut Duden schreiben, wenn es sich um das Wiederholen einer Schulklasse handelt. Diese inhaltliche Differenzierung wird zwar von eingeschworenen Reformern nicht gutgeheißen (siehe Interview), stößt bei Demmer von der GEW dagegen auf volle Unterstützung. „Die Kunst wird sein, zu vermitteln, dass die Varianten nichts mit Beliebigkeit zu tun haben“, sagte sie der taz. Ich kann zwar „sitzen bleiben“ oder „sitzenbleiben“ schreiben, aber das heißt nicht,dass ich bleiben mit p schreiben darf.

Das neue Regelwerk möchten Politik und Verbände möglichst nicht mehr antasten, zu sehr sind sie von mindestens zehn Jahren Sprachkampf zermürbt. KMK-Vorsitzende Ute Erdsiek-Rave freut sich auf einen „Rechtschreibfrieden“. Sie hoffe sehr, dass die Akzeptanz auch außerhalb der Schulen weiter wachsen wird, sagte sie. Auch Demmer von der GEW findet: „Jetzt muss Schluss sein mit dieser Reform.“

Mitarbeit: Anja Dilk und Alke Wierth