Das Ende der Pax Americana

Der Krieg im Libanon zeigt, wie sehr die USA an Legitimität und Autorität verloren haben. Das ist keine gute Nachricht für alle, die sich um Stabilität und Frieden in der Welt sorgen

Wenn es die Absicht radikaler Islamisten war, die USA in die Sackgasse zu lotsen, dann ist dies gelungenDie Neokonservativen haben die Idee einer moralisch geleiteten US-Außenpolitik gründlich pervertiert

Der aktuelle Libanonkrieg zeigt, dass Amerikas Zeit als Hegemonialmacht abgelaufen ist. Vorbei die Zeit, als Amerikas Wohlstand und Autorität die Staatengemeinschaft irgendwie zusammenhielt. Dies ist kein gutes Zeichen. Denn fehlt die Ordnungsmacht, drohen turbulente Zeiten.

Wie immer, wenn es um den Nahen Osten geht, blickt die Welt seit Kriegsbeginn im Libanon hilfesuchend zum Weißen Haus nach Washington. Doch die Bush-Regierung hielt sich lange zurück und schlug sich dann auf die Seite Israels – auch weil man dort an die Katharsis der Gewalt glaubt. Sie reagierte erst, als Isolation und internationaler Druck zu groß wurden.

Was für ein Unterschied zu den Zeiten von George Bush senior: Wie erfolgreich war dagegen dessen „Shuttle Diplomacy“ vor dem Golfkrieg von 1991 gewesen, als Diplomaten vom Format eines James Baker und Brent Scowcroft wochenlang durch die Hauptstädte des Nahen Ostens reisten, um eine gemeinsame Haltung gegenüber Irak zu finden; sein Drängen auf ein UN-Mandat, um die irakische Armee aus Kuwait zu vertreiben; sein Druck auch auf Israel, dem er die Militärhilfe verweigerte.

Der Sohn tat es dem Vater nicht gleich; sein Engagement in Nahost erschöpft sich in wortmächtiger Rhetorik. Dem „Greater Middle East“ wolle er Freiheit bringen, den Palästinensern zu einem unabhängigen Staat verhelfen. Doch Taten? Fehlanzeige.

Es ist allerdings nicht nur die einseitige Parteinahme zugunsten Israels, die dazu geführt hat, dass Amerikas Einfluss in der Region selten so gering war wie heute. Es liegt auch an George W. Bushs Unfähigkeit, aus den Katastrophen des Irakkrieges zu lernen. Und bitter ist es auch, zu sehen, wie schnell seine Regierung nun den Libanon fallen gelassen hat, das Land der „Zedernrevolution“, das doch an Stelle des Irak zur Modellnation der Demokratisierung in der arabischen Welt werden sollte. Zu Recht sorgen sich Amerikas Verbündete in Europa und Asien über die Ohnmacht der Supermacht. „Das Einzige, was schlimmer ist als ein zu mächtiges Amerika, ist ein zu schwaches“, mahnt Arthur Hughes vom Middle East Institute in Washington.

Doch jede Schadenfreude angesichts dieser Schwäche wäre zynisch. Erstens sind die Europäer auf der Suche nach Lösungen im Libanonkrieg uneins. Zweitens stoßen Staaten wie Russland und China in dieses Vakuum vor, die alten und neuen Hegemonialträumen anhängen und gleichgültig sind gegenüber Diktatoren, korrupten und maroden Staaten, solange sie nur ihren Ressourcenhunger stillen können. Drittens leidet mit dem Ansehensverlust der Amerikaner das Ansehen des Westens insgesamt – und damit seine Fähigkeit, Reformkräfte in der muslimischen Welt zu stärken. Viertens wurde durch die rücksichtslose Außenpolitik von George Bush junior eine heute oft dringend gebotene Interventionspolitik in Misskredit gebracht.

Dabei steht Bush im Grunde in der Tradition demokratischer Präsidenten wie Woodrow Wilson, Franklin D. Roosevelt und Bill Clinton. Diese plädierten für eine nicht nur von Interessen, sondern auch moralisch geleitete Außenpolitik, die ausdrücklich militärische Interventionen vorsieht, um Frieden und Demokratie herzustellen. Bush und die Neokonservativen allerdings pervertierten Anspruch und Mittel einer solchen Interventionspolitik. Vor dem 11. September ging es ihnen vor allem darum, Amerikas konkurrenzlose Militärmaschine weiter auszubauen, um aufstrebende Mächte wie China in Schach und auf Distanz zu halten. Nach 9/11 sollte die Demokratie mit dem Schwert verbreitet werden. Das Argument: Demokratische Staaten stellen eine geringere Bedrohung für Amerikas Sicherheit dar als autokratische Regime. Das ist richtig, und gegen solche Regimewechsel in Richtung Demokratie ist nichts einzuwenden – jeder Osteuropäer weiß das. Doch entscheidend ist das Wie. Auch in Clintons Amtszeit erklärte der Kongress den Sturz Saddam Husseins zu einem Ziel der US-Politik. Einen Krieg wollte er hierfür aber nicht vom Zaun brechen.

Die Invasion im Irak, die Bush befehligte, stellt sich nun als folgenschwerster Fehler seiner Amtszeit dar. Amerikas Unfähigkeit, die Gewalt und das Chaos im Irak zu beenden, offenbarte seine Schwäche und ermutigt radikale Islamisten. Washington und Israel verstehen nicht, dass asymmetrische Kriege gegen Terroristen nicht mit herkömmlichen Armeen gewonnen werden können und der Einsatz einer noch so gewaltigen Hightech-Armee keine effektive Politik ersetzt. Sie verstehen nicht, dass martialische Gewalt, die mit einer kollektiven Bestrafung der Zivilbevölkerung einhergeht, die antiwestliche Haltung in islamischen Staaten nur verstärkt. Wenn es die Absicht radikaler Islamisten vom Schlage eines Bin Laden war, die USA in diese Sackgasse zu lotsen, dann ist ihr Masterplan trefflich gelungen.

Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind gefährlich. Zwischen den USA und dem Rest der Welt herrschen mehr Feindseligkeit und Misstrauen denn je zuvor. Amerika hat seine Legitimität und Autorität verloren. Diese gründete seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges darauf, nicht nur im Eigeninteresse zu handeln, sondern auch im Interesse der Weltgemeinschaft, zumindest der eigenen Verbündeten. Heute versucht die Bush-Regierung, ihren Unilateralismus durch ihre Rückendeckung für Israel zu legitimieren. Der „Krieg gegen den Terror“ dient dabei als Vorwand für jeden Rechtsbruch. Guantánamo ist ein Beispiel für diese Haltung; ein anderes der Vertrag mit Indien über die Lieferung von Atomtechnologie. Dazu muss sogar ein US-Gesetz geändert werden, das bislang den Handel mit Staaten untersagt, die nicht dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten sind. So kommt es, dass immer mehr Staaten mit unangenehmen Regierungen den USA auf der Nase herumtanzen. So kann sich Ussama Bin Laden in Pakistan verstecken. So können die Taliban in Afghanistan ihren Einflussbereich ausdehnen, kann Nordkorea munter Langstreckenraketen testen und an der Atombombe basteln, ebenso wie der Iran. So wissen die Warlords von Sudan bis Somalia, dass sie von Bush nichts befürchten müssen.

Angesichts dieser Malaise mutet die Debatte, die derzeit in den USA geführt wird, gespenstisch an. Da wird der Verlust von Amerikas Autorität beklagt. Doch zurückgewinnen will man sie mit den alten Rezepten: mehr Härte, mehr militärische Stärke. „Ihr habt noch nicht begriffen, dass es vorbei ist“, soll unlängst ein britischer Diplomat zu einem Vertreter der Neokonservativen gesagt haben. Mit „vorbei“ meinte er den Status einer Weltmacht, die sich auf mehr gründet als auf ihre Wirtschaftskraft und ihre Armeegewalt.

Die große Frage lautet nun: Wer kann für Stabilität sorgen, für Legitimität? Die Europäer? Schön wär’s, aber sie sind zu schwach und zerstritten. Die UNO? Sie wäre zwar die richtige Adresse, ist aber fehlerhaft und schwach. Bis sie stark genug und ein weitsichtiger US-Präsident gewählt ist, der Amerika erneuert, sehen wir unruhigen Zeiten entgegen. MICHAEL STRECK