Ein Tag im Maisfeld

Bei einer erneuten „Feldbefreiung“ trampeln Umweltschützer in der brandenburgischen Provinz Genmais nieder. Die Aktion erinnert an die Anti-Castor-Demos, nur die Dorfbewohner lässt sie kalt

Für das Schauspiel auf den Feldern ernten die Aktivisten nur Kopfschütteln von den Dorfbewohnern

AUS BADINGEN VOLKER HOLLMICHEL

Der junge Mann mit Rasterhaaren und dreckverschmiertem T-Shirt rennt im Zickzack-Kurs aus dem Maisfeld – gefolgt von drei auf Pferden herangaloppierenden Polizisten und einem Hubschrauber im Tiefflug. Kurz darauf ergibt sich der Fliehende auf dem benachbarten gelben Stoppelacker und wird mit auf den Rücken gedrehten Armen zu der Menge der bereits Gefangenen geführt.

Die zumeist jungen Demonstranten sitzen am Feldwegrand auf dem Boden und bejubeln den Neuankömmling wie einen Helden. Denn das ist aus ihrer Sicht jeder, der es hier im nordbrandenburgischen Badingen schafft, die Mission trotz massiven Polizeiaufgebots zu erfüllen: die Zerstörung einiger Quadratmeter Genmais und damit das ungeteilte Interesse der zahlreichen Journalisten zu wecken.

An diesem Sonntag wiederholt sich ein groteskes Schauspiel, wie es vor genau einem Jahr bereits in Strausberg bei Berlin stattfand. Rund 500 Gentechnik-Gegner folgten diesmal dem öffentlichen Aufruf der Initiative „Gendreck weg!“ (www.gendreck-weg.de), den Genmais platt zu trampeln, der hier auf 50 Hektar angebaut wird. „Feldbefreiung“ nennen die Gentechnik-Gegner diese Aktionsform. Beinahe ebenso viele Polizisten versuchen die Öko-Aktivisten mit Hilfe von Reiter- und Hundestaffeln, zwei Räumfahrzeugen und einem Polizeihubschrauber daran zu hindern.

„Wenn Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“, erklärt eine junge rothaarige Aktivistin einem Anwohner, der mit einer Bierdose in der Hand vor seiner Haustür steht. Der Mann mit abgeschnittener Jeanshose und tiefgebräuntem Bierbauch schaut die Demonstrantin eine Weile fassungslos an, dann schnauzt er: „Habbta een’ anna Waffel? Wir hamm hier echt andre Probleme.“

Im Vordergarten der Nachbarn hat es sich die vierköpfige Familie auf weißen Plastikgartenstühlen bequem gemacht und beobachtet das Geschehen aus sicherer Distanz. Einhundert Meter entfernt versammeln sich 300 Demonstranten mit Transparenten auf der Straße vor der Dorfkirche. Es ist 11 Uhr und noch eine Stunde Zeit bis zur genehmigten Abschlusskundgebung.

Die kann allerdings nicht wie geplant vor einem der Maisfelder stattfinden. Zwei Polizei-Mannschaftswagen versperren den Weg zu den Äckern. „Wir erwarten ein Ende der Demo gegen Mittag“, erklärt ein Polizei-Pressesprecher freundlich den ungeduldigen Journalisten.

Michael Grolm steht inmitten der wartenden Anti-Gen-Demonstranten und lächelt besonnen. „Genmais ist das BSE der Imkerei. Wenn gentechnisch veränderte Pollen in unseren Honig gelangen, ist der unverkäuflich“, diktiert der 34-jährige Berufsimker und Demo-Mitinitiator einer jungen Journalistin in ihren Notizblock. Der hochgewachsene Mann mit dem Strohhut weiß zu diesem Zeitpunkt mehr als die Polizei. Eine Viertelstunde später verkündet er mit gedämpfter Stimme in den eigenen Reihen den Erfolg auf dem benachbarten Schlachtfeld: Während die Polizei den Ort der Kundgebung absperrte, hatten sich 150 Demonstranten auf Schleichwegen an ihr Ziel, die Genmaisfelder, herangepirscht.

Mit Sirengeheul rast ein Mannschaftswagen-Konvoi von der Dorfmitte in Richtung Feldweg, vorbei an einem Dutzend Genlobbyisten der Vereinigung „Innoplanta“ und der Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion für nachwachsende Rohstoffe und ländliche Räume, Christel Happach-Kasan. Die Abgeordnete aus Berlin will die Solidarität ihrer Fraktion mit Bürgermeister und Genmaisbauer Jörg Eickmann demonstrieren und verteilt Flugblätter. „Kein Faustrecht in Deutschland“, lautet der Titel. Happach-Kasan erklärt, die FDP halte gentechnisch verändertes Getreide für unbedenklich. „Die Zerstörung von Feldern ist eine kriminelle Handlung“, fügt sie hinzu.

Zwei Dutzend Journalisten mit Kameras und Umhängetaschen hetzen dem Polizeitross hinterher und vermengen sich auf dem schmalen Feldweg in dem Durcheinander von kläffenden Polizeihunden, johlenden Demonstranten und dem Geknatter des Polizeihubschraubers. Eine junge blonde Polizistin ruft in ihr Funkgerät: „Wir brauchen hier noch Verstärkung, das sind einfach zu viele.“ Nach zwei Stunden Katz-und-Maus-Spiel hat die Polizei rund 50 Genmais-Trampler in vorläufigen Gewahrsam genommen und in einen Gefangenenbus verfrachtet. Gegen 14.30 Uhr verlässt der Bus den Ort des Geschehens Richtung Oranienburg, damit sämtliche Personalien aufgenommen werden können. So schnell wie das Chaos über die verschlafene Gemeinde hereinbrach, ist es auch wieder verschwunden.

Bauer Eickmann naht in seinem Gelände-Pick-up, um die Schäden an seinen Pflanzen zu begutachten. „Ungefähr 150 Quadratmeter haben die Leute platt gemacht. Aber die Kosten für den Ernteausfall werden wohl etwas niedriger liegen als die für den Einsatz hier“, sagt der Genmais-Landwirt. Bedenken, dass der Anbau von Genmais doch nicht richtig gewesen sein könnte, hat er nicht, schließlich würden alle wissenschaftlichen Untersuchungen die Verträglichkeit beweisen. Sollte sich der Anbau für Eickmann betriebswirtschaftlich lohnen, will er auf weiteren Feldern Genmais anpflanzen. Neue und vermutlich noch größere Proteste werden dann wohl die Folge sein und die indirekten Kosten weiter in die Höhe treiben: eine Reminiszenz an die Atommülltransporte – nur findet der Kampf diesmal nicht auf den Gleisen, sondern auf deutschen Feldern statt.